NS-Dokumentationsstätte: Erinnerung zu teuer

Die Stadt Celle wollte Maßstäbe bei der lokalen Aufarbeitung der Nazi-Zeit setzen - und könnte an der klammen Haushaltslage scheitern.

Solche Fotos müssen wohl weiter im Stadtarchiv verstauben: Celle feiert im Mai 1935 die Wiedereröffnung des Schlosstheaters. Bild: Stadtarchiv Celle

CELLE taz | In Celle droht das Aus für eine Dokumentationsstätte, in der an die lokale Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert werden soll. Obwohl sowohl die Grünen als auch die CDU den Aufbau eines solchen Zentrums gefordert haben, hat die Stadtverwaltung nun empfohlen, „die Realisierung des Vorhabens zur Zeit auszusetzen“. Laut der für Kultur zuständigen Stadträtin Susanne Schmitt (CDU) könnte frühestens 2014 „bei einer unerwartet positiven Finanzentwicklung“ nochmal über das Projekt nachgedacht werden.

Hintergrund sind die von der Celler Stadtverwaltung vorgelegten Zahlen über die vermutlichen Kosten: die Sanierung des dafür vorgesehenen mehr als 100 Jahre alten Gebäudes würde alleine bis zu 1,4 Millionen Euro kosten, hinzu kämen knapp eine weitere Million Euro für Forschungsarbeiten und die Einrichtung der Ausstellung sowie jährlich rund 200.000 Euro für den Betrieb.

„Das ist eine realistische Schätzung, die für eine Stadt dieser Größenordnung eine finanzielle Herausforderung darstellt. Ich bin dennoch optimistisch, dass die Pläne nicht vollkommen auf Eis gelegt werden“, sagt Habbo Knoch, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten. Der Historiker leitete 2011 einen Expertenworkshop, auf dem ein Konzeptpapier für das Dokumentationszentrum ausgearbeitet wurde.

Am 8. April 1945 geriet ein Deportationszug in Celle in einen Bombenangriff.

3.420 KZ-Häftlinge befanden sich im Zug, der zum Konzentrationslager Bergen-Belsen fuhr.

Einigen Häftlingen gelang nach dem Bombenangriff die Flucht, sie wurden von Einheiten der SS, Soldaten und Polizisten verfolgt.

170 Häftlinge wurden bei der Hetzjagd getötet, an der sich auch Celler Zivilisten beteiligten.

Einzelne Bürger versuchten den Fliehenden zu helfen. Ein katholisches Krankenhaus nahm verletzte Flüchtlinge auf.

Erst seit den 1980er Jahren werden die Verbrechen der NS-Zeit in Celle aufgeklärt.

Danach sollte im sogenannten Torhaus, in dem einst KZ-Häftlinge und nach dem Krieg Überlebende des Holocaust einquartiert waren, auf einer Fläche von 360 Quadratmetern unter anderem der Aufstieg der Nationalsozialisten in Celle, die mit der Machtübernahme der NSDAP verbundenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, der Ausschluss von Minderheiten aus dem öffentlichen Leben sowie die sogenannte Celler „Hasenjagd“ dargestellt werden – das Massaker vom 8. April 1945 an fliehenden KZ-Häftlingen.

„An diesem Konzept habe ich bislang keine Kritik gehört“, sagt Knoch. Er ist überzeugt, dass inhaltliche Gründe keine Rolle für die Empfehlung der Stadtverwaltung spielen.

Am 8. März soll der städtische Kulturausschuss Stellung nehmen. Dessen Vorsitzende Amei Wiegel (SPD) setzt sich für die Dokumentationsstätte ein. „So ein Lernhaus gibt es in ganz Norddeutschland nicht“, sagt Wiegel. Möglicherweise müsse man einen anderen, günstigeren Standort suchen, aber das Konzept dürfe „nicht baden gehen“.

Die rund eine halbe Million Euro für die Einrichtung der der Ausstellung und die jährlichen 200.000 Euro für den Betrieb hält die SPD-Politikerin für vertretbar. „Eventuell muss man das ganze Projekt zeitlich strecken“, sagt Wiegel. Ursprünglich sollte die Dokumentationsstätte 2015 eröffnet werden. Eine endgültige Entscheidung muss der Stadtrat treffen, in dem neben den fast gleichstarken Parteien CDU und SPD fünf weitere Fraktionen vertreten sind und es keine feste Mehrheiten gibt.

„Wir wissen noch nicht, wie wir uns entscheiden werden“, sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Heiko Gevers. Er hält die Pläne angesichts der Finanzlage der Stadt – mehr als 150 Millionen Euro Schulden, der nicht ausgeglichene Haushalt muss vom Innenminister genehmigt werden – für derzeit nicht tragbar, betont aber: „Alle Fraktionen sind sich einig, dass etwas gemacht werden soll, um die Bedeutung des Krieges und der NS-Zeit für Celle darzustellen.“ Bislang spielt dieses Thema im einzigen Heimatmuseum der Stadt keine große Rolle.

Darüber, wie eine lokale Aufarbeitung der NS-Zeit aussehen könnte, scheint es unterschiedliche Vorstellungen zu geben. CDU-Fraktionschef Gevers spricht davon, dass auch die wenigen Bombenangriffe auf die Celler Bevölkerung dargestellt werden sollen. SPD-Politikerin Wiegel hält es für erforderlich, die große Zahl der ab 1945 aus dem Osten kommenden Flüchtlinge als Kriegsfolge in die Ausstellung mit einzubeziehen.

Das von Knoch vorgelegte Konzept dagegen will die Mechanismen der nationalsozialistischen Herrschaft am Beispiel einer Kleinstadt verstehbar machen. Ob die weiteren Forschungen zur NS-Zeit in Celle, die die Grundlage für das geplante Zentrum bilden, realisiert werden können, hängt letztlich ebenfalls vom Votum des Stadtrates ab.

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