Freundschaft: "Auch seine Frau hat ihn gesiezt"

Die Kokoschka-Ausstellung im Kunsthaus Stade wäre ohne Heinz Spielmann nicht möglich gewesen. Der Freund des Malers stellte die meisten Arbeiten zur Verfügung - und erinnert sich.

Fand Kokoschka gut, als der gar nicht angesagt war: Heinz Spielmann, Kurator der Ausstellung in Stade. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Herr Spielmann, wie haben Sie Oskar Kokoschka kennengelernt?

Heinz Spielmann: Als junger Kustos des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Über einen Hamburger Sammler erreichte uns Kokoschkas Wunsch, Arbeiten seiner Schüler aus der „Schule des Sehens“ zu zeigen.

Und Sie sagten „Ja“.

Und ich sagte „Nein“, weil ich vor allem eine Kokoschka-Retrospektive mit all seinen zweckgebundenen Arbeiten zeigen wollte: Illustrationen, Plakate, Bühnenbilder, einen Gobelin. Kokoschka wünschte sich einen solchen Gobelin für das Museum. Da sich der Entwurf eines bereits vorhandenen Gobelins nicht ein zweites Mal realisieren ließ, kam es zur Ausführung des Gobelins „Die Zauberflöte“. Sie zog sich über fünf Jahre hin. Wir präsentierten die neue Tapisserie 1970 mit den inzwischen entstandenen neuen Illustrationen, grafischen Folgen und Theaterentwürfen.

Und dann?

Nach der Eröffnung der Ausstellung sagte Kokoschka: „Wir müssen wieder was zusammen machen. Das verlängert mein Leben.“ Ich reagierte: „Wenn das so einfach ist, dann machen Sie doch ein Mosaik.“ Er zeichnete zwei Mosaik-Kartons, das war 1972.

81, studierte in Aachen und Stuttgart Architektur, Kunstgeschichte und Philosophie und promovierte mit einer Arbeit über Palladio. 1960 ging er als Leiter der Modernen Abteilung ans Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, wo er unter anderem Illustrationen und Plakate von Picasso, Bracque, Miró, Chagall, Max Ernst und Kokoschka zeigte. Von 1983 bis 1995 lehrte er Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Münster. 1986 wurde er Landesmuseumsdirektor in Schleswig-Holstein und leitete das Landesmuseum Schloss Gottorf. 2002 war er Gründungsdirektor des Bucerius Kunst Forums in Hamburg, das er bis 2005 leitete.

Das Mosaik in der Ruine der Nikolaikirche?

Ein Mosaik entstand in Ravenna für die Nikolaikirche am Klosterstern, das zweite für die Turmruine der alten Nikolaikirche.

Kokoschka war nicht angesagt.

Manche Leute, vor allem manche Museumskollegen, hielten uns für verrückt, dass wir Kokoschka schätzten.

Manchmal ist das egal.

Mir war es völlig gleichgültig. Solche Meinungen sind Konventionen, und Konventionen interessieren mich nicht.

Wann haben Sie ihn kennengelernt?

1965.

Sie waren 35 Jahre alt, er war Ende siebzig.

Stimmt.

Wie war er?

Unkompliziert, unverstellt, direkt, reagierte sofort. Als wir ihn in Villeneuve in der Schweiz zur Vorbereitung der ersten Ausstellung besuchten, wurden wir gewarnt – Kokoschka leihe seine Bühnenzeichnungen nicht aus. Das Gegenteil war der Fall. Wir konnten auswählen, was wir wollten. Allerdings stellte er die Bedingung, dass der Zoll auf die Zeichnungen keinen Stempel machen dürfe. Das gelang.

Wie ist die Freundschaft zwischen ihnen entstanden?

Das ergab sich durch die Zusammenarbeit, durch den Gobelin. Er fühlte sich verstanden. Er war ein älterer Maler, der angefeindet wurde, er war ein Moderner, aber nicht abstrakt, den Konservativen war er zu modern, den Abstrakten nicht modern genug. Also freute er sich, dass er durch einen viel Jüngeren verstanden wurde.

Über was haben Sie sich unterhalten?

Über die Mathematik bei Bach, das Kunstverständnis der Japaner. Er ärgerte sich über Papst Paul VI. und das Vatikanische Konzil wegen der Abschaffung des Lateinischen in der Liturgie. Er sagte dann: „Ich bin kein Christ, aber ich bin katholisch.“

Haben Sie sich geduzt?

Nie. Er duzte sich mit wenigen, etwa mit seinen Kameraden des Ersten Weltkriegs. Auch seine Frau hat ihn gesiezt.

Nee. Olda Palkovská hat ihn gesiezt?

Doch. Er nannte sie Hold und Du, sie siezte ihn.

Waren Sie mal bei der Entstehung einer der Zeichnungen, die hier hängen, dabei?

Nur ein Mal. Beim Zuckmayer-Porträt. Normalerweise ging er ins Atelier, machte die Schiebetüre zu, und arbeitete dort. Als Zuckmayer zu Kokoschka kam, wusste er, dass Kokoschka ihn porträtieren wollte.

Zuckmayer war da schon krank?

Ja, es war kurz vor Zuckmayers Tod. Zuckmayer, der lange mit Kokoschka befreundet war, saß da wie ein Konfirmand, bewegte sich nicht, ganz starr. So konnte Kokoschka ihn nicht zeichnen. Er suchte das Leben, die Bewegung. Deshalb zeichnete er gern Kinder, Tiere und Zirkusszenen. Zuckmayer aber saß starr da, Kokoschka verharrte, ohne zu zeichnen. Ich dachte, was soll ich tun? Von seinem letzten Stück, „Der Rattenfänger“, konnte man nicht sprechen, denn es war gerade in Wien durchgefallen. Also fragte ich ihn, woran er zur Zeit arbeite. Er berichtete darüber, wurde sehr lebendig. In diesem Moment brachte Kokoschka die Zeichnung zu Ende. Am nächsten Tag kam Zuckmayer wieder, nicht im schwarzen Anzug, sondern im Janker, bewegte sich ganz unbefangen. Es entstanden zwei großartige Porträts.

Einige der hier hängenden Zeichnungen sind bei eher beiläufigen Gelegenheiten entstanden, etwa auf Reisen, eine beim Essen. Deshalb der Titel „Capriccio“: in Laune.

Beim Essen konnte es passieren, dass er aus dem Brotteig kleine Tierfiguren knetete und seinen Gästen schenkte. Wenn er zeichnete, schaute er mehr auf das Gegenüber als auf das Blatt Papier und murmelte dazu: „Am besten gar nicht hingucken“, nämlich aufs Papier. Zeichnen war für ihn ein medialer Vorgang, in dem er einen kurzen Moment einfing.

Wie war er ausgerüstet, um überall zeichnen zu können?

Das hatte er sich in England angewöhnt. Wenn er dort während des Zweiten Weltkriegs im Freien mit der Staffelei stand, vermutete man, er sei ein Spion. Also zeichnete er während seiner Aufenthalte in Wales und Schottland mit Farbstiften auf Skizzenblöcke, die Stifte im Mund. Diese Gewohnheit behielt er nach Kriegsende bei, wenn er auf Reisen war.

Statt als Spion verhaftet zu werden, bekam er die englische Staatsbürgerschaft.

Er war den Engländern sehr dankbar, dass sie ihn trotz seiner Kritik am Münchner Abkommen nie behelligten, und ihm sogar den britischen Pass gaben. Die österreichische Staatsbürgerschaft bekam er ehrenhalber. Eigentlich braucht man dazu einen Wohnsitz in Österreich. Weil er keinen hatte, schrieb Bundeskanzler Bruno Kreisky seine Privatadresse in die Papiere.

Auf einem Blatt, das er Ihnen gewidmet hat, steht, dass Sie ihn aus einer „Noth“ gerettet haben.

Das war 1976, wir waren verabredet, am Tag zuvor war sein jüngerer Bruder Bohuslav gestorben. Er war völlig verzweifelt. Wir hatten versucht, ihn zu trösten. Er hat uns eines der Blätter, auf dem Zeus den Asklepios mit dem Blitz erschlägt, geschenkt. Er hat Zeichnungen mehr verschenkt als verkauft.

Ist er darüber erschrocken, dass er an einer Zeichnung arbeitet, in der Zeus den Bruder erschlägt, und dann stirbt sein Bruder?

Nein, das war Zufall. Aber er hatte Visionen. Haben Sie die vier Zeichnungen von Kamilla Swoboda gesehen? Er zeichnet sie, wie sie ihrem Mann, dem Kunsthistoriker Karl Maria Swoboda, zuhört, der ein hervorragender Pianist war. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet. Er deutete das allmähliche Hingleiten der jungen Frau, das in der Folge der Blätter sichtbar wird, als Vorahnung ihres Todes.

Er selbst ist nur knapp aus Prag herausgekommen.

Ja, nach London, dank der letzten Flugkarten, die Olda besorgt hatte.

Die Nazis hätten ihn gerne in die Finger bekommen.

Oh ja. Es gibt ein Ondit, nachdem sich Hitler und Kokoschka um das gleiche Stipendium der Akademie in Wien beworben haben. Kokoschka hat’s bekommen. Ein Ondit, wie gesagt, selbstverständlich galt er den Nazis als entartet.

Er hatte eine enge Bindung zu Hamburg?

Ja, vor allem dank einiger Freunde. So überließ er seine Bühnenbilder für die Zauberflöte, die dem New Yorker Museum of Modern Art für 100.000 Dollar angeboten wurden, dem Hamburger Museum für 100.000 DM. Damals ein Viertel des Dollar-Betrags.

Warum?

Er wusste, dass er gewürdigt wird, wir ihm einen eigenen großen Raum einrichteten.

Wie ist die Ausstellung in Stade zu Stande gekommen?

Durch ein Gespräch mit Andreas Schäfer, dem Leiter des Kulturamts. Die Ausstellung sollte in die Stader Reihe passen, also zu der den Künstler im privaten Kreis zeigenden Macke-Ausstellung oder der persönlich geprägten Sammlung Erika und Arndt Siegel.

Wie viele der Arbeiten hier sind Leihgaben von Ihnen?

Acht nicht.

Beim Auffinden dieser acht haben Sie auch geholfen?

Ich habe Herrn Schäfer gesagt, wo er eines der thematisch passenden Bilder finden könne. Einige davon konnten ausgeliehen werden.

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