Debatte Postwachstum: Schöpferische Zerstörer

Die Diskussion über eine Postwachstums-Ökonomie ist wichtig, aber sie blendet entscheidende Akteure des Wandels aus: Die Unternehmer und das Unternehmertum.

Es gibt nicht viele Debatten, in denen es um größere Herausforderungen geht: Was kann Wachstum zum Wohlstand noch leisten, wenn das "ökonomische Mehr" zugleich immer stärker Umwelt, Klima und Gerechtigkeit bedroht?

In dieser Kontroverse nimmt die Idee einer Postwachstums-Ökonomie breiten Raum ein – einer Wirtschaftsweise, die nicht mehr alternativlos eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes anstrebt und von der Fiktion ablässt, Wirtschaftswachstum könne von seinen ökologischen Folgen entkoppelt werden. Wirklich erfolgreich kann dieser Ansatz aber erst werden, wenn seine Anhänger einen entscheidenden blinden Fleck überwinden.

Die meisten Verfechter einer Postwachstums-Ökonomie blenden Fragen der Betriebswirtschaft nahezu komplett aus. Allenfalls der kleine Sektor der Sozialbetriebe wird nicht als Teil des Problems gesehen – jede andere unternehmerische Tätigkeit gilt als dem Kapitalismus eigene, maßlose Ausbeutung von Ressourcen.

Die Akzeptanz des Ansatzes unter Wissenschaftlern und vor allem in der wirtschaftlichen Praxis selbst kann nur steigen, wenn auf die dort herrschenden, zentralen Ideen positiv Bezug genommen wird: die Unternehmer und das Unternehmertum.

Allein auf der Basis einer kleinteilig organisierten Ökonomie mit wenig kapitalstarken Firmen, Sozialunternehmen und Genossenschaften wird man weder ökonomisch noch ökologisch effizient eine hochtechnologische Gesellschaft wie die unsrige "am Leben" halten können. Auch in einer Postwachstums-Ökonomie wird es ohne globale Produktionsnetzwerke und Logistikketten nicht gehen. Sicher: Es wird vermutlich weniger davon geben. Aber nötig bleiben kapitalstarke Unternehmen einer gewissen Größenordnung trotzdem. Das ist nicht nur eine Frage der empirischen Erfahrung, sondern auch eine der Strategie.

Noch nirgends konnte ein solch gravierendes Umbauprojekt über einen Top-down-Ansatz sein Ziel erreichen – und schon gar nicht den Erfolg dauerhaft sichern. Die Welt ist zu komplex für allein von oben verordnete Veränderungen, Forderungen, die immer gleich auf die Ebene des "Systems" zielen, dieser ominösen Grundstruktur von allem, sind hoch riskant.

Es war John Stuart Mill, der vielleicht letzte wirklich umfassend ausgebildete Sozialökonom, der schon im 19. Jahrhundert die Fähigkeit von Gesellschaften, sich zu entwickeln, vor allem in der Bereitschaft gewährleistet sah, vielfältige, lokal begrenzte soziale Experimente zuzulassen. Ein solcher "verteilter Ansatz" ist fehlerfreundlicher als ein "systemischer", man lernt die nächsten Schritte gewissermaßen beim Gehen – und muss nicht erst einmal alles abreißen, bevor man startet.

Unternehmer statt Manager

Für eine Erneuerung der Debatte um die Postwachstums-Ökonomie sollte eine erweiterte Strategie "von unten" verfolgt werden. In dieser müssten ausdrücklich auch "normale" kapitalistischen Unternehmen und, mehr noch, deren Unternehmer einbezogen werden. Über sie würde sich auch die Betriebswirtschaft als Wissenschaftsdisziplin stärker an der Debatte über eine bessere Welt nach dem Wachstumszwang beteiligen. Gleichzeitig setzt damit eine Postwachstums-Ökonomie das Bild des Unternehmers gegen das des Managers – langfristiger Aufbau von Werten gegen kurzfristige Optimierung des Bestehenden bei größtmöglichem Gewinn. Und vor allem würde die Zukunft in der Praxis schon einmal beginnen können.

Es gibt im Grunde kein Unternehmen, das die Idee des Postwachstums nicht auch in den Kern seines Geschäftsmodells integrieren könnte. Die Frage ist natürlich immer: zu welchem "Preis" geschieht das, wie wirkt es sich auf Kosten und Wertschöpfung aus, wie auf die Beschäftigten.

In einer Untersuchung zu den ökologischen Auswirkungen verschiedener Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie konnten meine Kollegin Barbara Seeberg und ich zeigen, wie sich der ökologische Fußabdruck und die Wertschöpfung verändern. Die Ergebnisse geben dabei Anlass zu vorsichtigem Optimismus.

Ein Umschwenken auf einen Mix aus klassischem Autoverkauf und Carsharing führt, über den Rückgang der Verkaufs- und Bestandszahlen sowie technischen Fortschritt bei den Fahrzeugen, zu einer Minderung der Umweltbelastung. Gleichzeitig kann durch den Ausbau des Servicegeschäfts um Carsharing-Fahrzeuge ein Preisaufschlag erfolgen. Ein grüner Erfolg, der betriebswirtschaftlich mehr als verkraftbar war. Die Kombination von klassischer Autoproduktion, neuen Mobilitätsdienstleistungen und den mit diesen einhergehenden Service-Angeboten ließen die Wertschöpfung nur geringfügig schrumpfen – im einstelligen Prozentbereich.

Es geht nicht nur um Gewinn

Ein Postwachstums-Kapitalismus ist machbar, er erfordert aber gewaltige Transformationen in den heute vorherrschenden Geschäfts- und damit auch in den Denkmodellen von Unternehmen und Unternehmern. Sie sind das zentrale Element dieses Wandels, sie versorgen ihn mit Ideen und Innovationen. Der österreichisch-ungarische Ökonom Joseph Schumpeter hat einmal von "schöpferischer Zerstörung" gesprochen, ohne die alte Strukturen nicht erfolgreich durch neue verdrängt werden können.

Einen Unternehmer treibt nicht die Aussicht auf Gewinn allein an, obschon es ohne Gewinn nicht gehen wird. Ein Unternehmer ist begeistert von seiner Idee, die zum Gewinn führen kann; am Neuen, das noch keiner versucht hat, er strebt nach Erfolg, pflegt Freude und Leidenschaft am Risiko und verfolgt einen unbedingten Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Ohne all das kann der Wandel hin zu einer Postwachstums-Gesellschaft nicht gelingen. Mehr noch: Wir können uns nicht einmal eine richtige Vorstellung von ihr machen, gebe es nicht Unternehmer, die mit neuen Produkten und Technologien, neuen Geschäftsmodellen und sozialen Innovationen das Grundgerüst einer veränderten Gesellschaft schaffen.

Wie würde die Welt aussehen, wenn Steve Jobs von der Idee des Postwachstums als einem Geschäftsmodell besessen gewesen wäre? Wir wären auf dem Weg dorthin schon deutlich weiter.

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