Meryl Streep als Margaret Thatcher: Die eiserne Lady im Supermarkt

Meryl Streep verkörpert die "Iron Lady" Margaret Thatcher perfekt bis in die Körpersprache. Und sie lässt Demenzkranke über hohe Milchpreise staunen.

Kann nicht nur im Film königlich winken: Meryl Streep auf der Berlinale. Bild: dpa

Ein Biopic über eine Figur wie Margaret Thatcher löst zwangsläufig schon im Vorhinein bestimmte Reflexe aus. Und das nicht nur bei denen, für die sie ein erklärtes Feindbild darstellt. Mehr noch als bei anderen Negativgestalten der Historie wie etwa Nixon oder J. Edgar Hoover gibt es da einen manifesten Unwillen, sich auf die Person als Film-"Heldin" einzulassen.

Viele der Filmkritiken, die nach der Premiere in Großbritannien im vergangenen Monat erschienen sind, eröffneten charakteristischerweise mit einer Aufzählung ihrer Missetaten: Thatcher, die Zerstörerin des britischen Gesundheitssystems, die "Milchdiebin", die den Schulkindern ihre Ration strich, die IRA-Gefangene verhungern ließ, die Gewerkschaften marginalisierte und die britische Gesellschaft auf einen Weg brachte, den viele heute noch als unheilvoll ansehen.

Und wenn man dann feststellt, dass von all dem nur sehr wenig in Phyllida Lloyds "Die eiserne Lady" vorkommt, scheint das Urteil so nahe zu liegen, dass man den Film kaum mehr schauen muss.

Der Antireflex verstärkt sich wohl noch, wenn man hört, dass Regisseurin Lloyd und Drehbuchautorin Abi Morgan (die interessanterweise auch Steve McQueens "Shame" geschrieben hat) als Ausgangsperspektive ihres Films die demente Thatcher gewählt haben. Den einen mag das pietätlos erscheinen, schließlich hat Thatcher sich mit Rücksicht auf ihren verfallenden Geisteszustand aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Andere sehen darin ein durchsichtiges Verfahren, um Empathie, wenn nicht gar Sympathie für die einst so starke Frau zu erheischen. Nach dem Motto: Sie schwach zu zeigen - das ist ja noch schöner!

Ein Leben, das Fragen offen lässt

So berechtigt all diese Reflexreaktionen auch sein mögen, wem es gelingt, sie zu unterdrücken, wird eine Überraschung erleben. "Die eiserne Lady" macht aus Margaret Thatcher keinen historischen Dämon wie etwa Oliver Stone aus Nixon, der Film liefert aber auch kein Paranoikerporträt, wie es jüngst Clint Eastwood über J. Edgar Hoover versuchte. Vielmehr lässt er ein Leben und eine Karriere Revue passieren – und am Ende sind mehr Fragen offen als beantwortet. Was einer Befreiung gleichkommt.

Da ist zum Beispiel die Sache mit der Demenz: Ja, wenn man die alte Frau, so unheimlich perfekt bis in die Körpersprache hinein von Meryl Streep verkörpert, verwirrt über den hohen Milchpreis staunend in einem Supermarkt stehen sieht, dann erscheint sie menschlicher, als es dem politischen Gegner behagt. Aber alle, die selbst Erfahrung damit haben, wissen es: demente Menschen sind nicht per se sympathische Zeitgenossen.

Erschreckende Verrücktheit

Man muss "Die eiserne Lady" schon dafür loben, dass hier einmal nicht der schon sprichwörtlich gewordene Kino-Alzheimer vorgeführt wird, bei dem die wirren, aber weisen Worte perfekte Pointen liefern. Vielmehr zeigt sich in der dementen Thatcher ein Stück jener erschreckenden Verrücktheit, die jeder in sich trägt: Man fühlt sich als Mittelpunkt des Universums.

Mit dem Gestus einer Herrscherin über ihr eigenes Reich gestattet sich die alte Thatcher ausführliche Gespräche mit ihrem verstorbenen Mann - und erzählt sich aus dieser Perspektive die Sternstunden ihres eigenen Lebens. Sehr idiosynkratisch, manchmal verstiegen, oft selbstgefällig. Aber weil es der Film so deutlich als ihre radikal subjektive Version ausstellt, bleibt dem Zuschauer auch die Freiheit, anders darüber zu denken. Und Fragen zu stellen.

Meryl, die eiserne Lady

Als unterprivilegierte Krämerstochter, die anfangs viele Demütigungen in der als reiner "men's club" organisierten britischen Politik ertragen muss, wird sie noch von Alexandra Roach verkörpert. Roach vermag leider außer Entschlossenheit nicht viele Facetten rüberzubringen. Doch sobald Meryl Streep die Rolle der inzwischen zur Abgeordneten Aufgestiegenen übernimmt, wird es interessant.

Der Kampf mit der eigenen Stimme - die ein zeitgenössischer TV-Kritiker mit dem Geräusch einer Katze verglich, die an einer Tafel herunterschrabbt - und der eigenen Sturheit sind die Leitmotive einer Karriere, in der sie selbst immer glaubte, sich treu zu sein. Dass diese Prinzipientreue im Wandel der Zeiten alles andere als einen verlässlichen Wert darstellt, wird vor allem in Streeps phänomenaler Darstellung deutlich, in der Tatkraft und Verblendung immer gleichzeitig sichtbar sind. Was dem einen eine historische Sternstunde, ist dem anderen der Abgrund der Geschichte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.