Die 8,9 Prozent Opposition: Alle in der ersten Reihe

Die Piraten haben ihre ganz eigene Arbeitsweise. Hierarchien gibt es nicht. Das kann dann schon mal in endlose Diskussionen ausarten

Neue politische Farbe in Berlin: Orange Bild: dapd

In der ersten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses nach der Wahl war die Überraschung bei vielen Parteien groß: Da waren diese Neuen, die Piraten. Man hatte ja schon allerhand Kurioses über sie gehört. Und jetzt auch noch das: Bei einer Abstimmung wagten es die Mitglieder der Fraktion tatsächlich, uneinheitlich abzustimmen. Einige für die neue Geschäftsordnung, andere dagegen. Hat man so etwas schon gesehen?

Die Episode zeigt: Die Piraten funktionieren nicht nur, was Kopfbedeckungen und Netz-Kompetenz angeht, anders als andere Parteien und sorgen für Irritationen bei den Parlamentskollegen. Hierarchie? Kennen sie nicht. Ebenso wenig wie Fraktionszwang oder Entscheidungen, die von der Fraktionsspitze vorgegeben werden.

Viel wichtiger sei der Kontakt zur Basis, sagt Martin Delius, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Die Basis soll thematische Linien festlegen, bei Entscheidungen die Richtung vorgeben. Soll es ein Rhetorik-Coaching geben? Soll die geplante Diätenerhöhung abgelehnt, das Wahlalter gesenkt werden?

Die Piraten haben sich seit ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus schwer getan mit dem festgelegten System eines Parlaments. Mit seinen Posten und Ämtern, den Geschäftsführern und Vorsitzenden, den Vizes und Sprechern, die manchmal so zahlreich scheinen, als ob sie nur erfunden wurden, um keinen Abgeordneten einfach nur Abgeordneten sein zu lassen. Die erste Debatte der frisch gebackenen Fraktion war daher: Brauchen wir einen Vorsitzenden? Geht es nicht auch ohne? Um dann den vorigen Spitzenkandidaten Andreas Baum zu wählen, einen ruhigen Menschen, keinen, der nach vorne drängt, im Gegenteil. Den Lauten, Christopher Lauer, ließen sie abblitzen.

Lieber die Redezeit splitten

Davon abgesehen: Natürlich suchen einige Abgeordnete stärker die Öffentlichkeit, sind lauter als andere. Natürlich sprechen einige öfter im Plenum, verschicken häufiger Pressemitteilungen, sind regelmäßig Protagonisten von Reportagen. Doch die Fraktion gibt sich Mühe: Lieber splitten die Abgeordneten ihre Redezeit im Plenum, um mehrere zu Wort kommen zu lassen, als auf einen einzigen zu setzen.

Dass nicht mal einer auf den Tisch haut, hat auch Nachteile. Entscheidungen können sich ewig ziehen. Über vier Monate nach der Wahl hat sich die Fraktion geeinigt, wer mit wem in welchem Raum arbeitet. Fraktionssitzungen gingen gerade am Anfang über Stunden, kreisten immer weiter um dasselbe Thema - und irgendwann darum, warum man denn jetzt schon so lange über dasselbe Thema diskutiert.

Doch trotz oder wegen des fehlenden Zwangs zur Einigkeit: In den vergangenen Debatten haben die Piraten es geschafft, die anderen Fraktionen alt aussehen zu lassen. Kein Wunder, dass das gerade bei den originären Piraten-Themen der Fall war: Bürgerrechte und Überwachung, hier in Gestalt von Funkzellenabfrage und Schultrojaner.

"Die Frage der Oppositionsführerschaft ist noch nicht entschieden", sagt Baum. "Ich denke aber, wir schlagen uns da ganz gut." Und mit einem Seitenhieb auf die Grünen: Nur weil mal jemand beschließe, Oppositionsführer zu sein, sei das noch längst nicht Realität.

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