Deutsche Ausgabe von "Interview": Solide und ein bisschen verspielt

Das Problem der deutschen Ausgabe von "Interview" ist weder Inhalt noch Layout, sondern die hohen Erwartungen. Man erwartet mehr – mehr Radikalität, mehr Provokation.

100.000 Auflage zum Start: "Interview". Bild: Screenshot interview.de

BERLIN taz | 270 Seiten, eine Auflage von 100.000 und Lana Del Rey auf dem Cover: Die erste deutsche Interview-Ausgabe protzt und klotzt, wo es geht. Vor über 40 Jahren gründete die Pop-Art-Ikone Andy Warhol das Magazin und prägte damit eine neue Art der Magazinkultur. Die deutsche Ausgabe kommt nicht ganz an das Original heran, kann sie auch gar nicht. Selbst die amerikanische Ausgabe schafft es bei weitem nicht, Andy Warhols Vision in Gänze zu erfüllen.

Andy Warhol's Interview war anders, es war radikal und hatte unkonventionelle Gespräche im Blatt, wie die Unterhaltung zwischen Truman Capote und Andy Warhol. Auch das Cover mit Warhol-Muse Joe Dallessandro und einem roten X versehen sorgte für Furore, weil es gar keine jugendgefährdende Fotos beinhaltete, sondern nur mit den Erwartungen der Rezipienten spielte.

Das Problem der ersten deutschen Ausgabe sind weder der Inhalt, noch das Layout – beides ist durchweg solide – sondern die hohen Erwartungen. Wenn Jörg Koch, Chefredakteur von Interview und auch von 032C, sowie das Kölner Grafikbüro von Mike Meire ins Boot geholt werden, erwartet man mehr – vor allem mehr Radikalität und Provokation.

Wünschenswert wäre auch weniger Werbung, das sei an dieser Stelle gesagt. Mehr Mut zu zwei redaktionellen Seiten würde bei weitem nicht schaden. Dadurch, dass oft Doppelseiten aus einem redaktionellem Beitrag und einer Anzeige bestehen, fällt die Differenzierung schwer und die Beiträge verblassen.

Große Namen, billiges Papier

Das Layout ist – wie es sich heute für ein Magazin gehört – verspielt. Es tauchen verschiedene Schriftypen auf, diverse Farben und es wirkt collagenhaft. Soweit so gut. Die Interviews im Heft sind zum Teil vorhersehbar mit großen Namen bestückt – und würden auch in der amerikanischen Ausgabe von Interview funktionieren: Blog-News-Königin Ariana Huffington trifft Schauspielerin Scarlett Johansson, Rapperin Nicki Minaj unterhält sich mit Designerin Donatella Versace, Angelina Jolie spricht mit Clint Eastwood und das Lieblings-Wunderkind James Franco steuert eine seiner Kurzgeschichten aus "Palo Alto" bei.

Herausgehoben seien die Gespräche von Modedesigner Adam Kimmel mit dem Künstler George Condo, sowie das Interview mit Theaterregisseur und Autor René Pollesch – geführt von Thomas Macho, Professor für Kulturgeschichte. Vor allem lesenswert ist jedoch das Lexikon "A-Z von Interview", das alle großen Momente des Warhol-Magazins verzeichnet. So steht hier unter einem Foto von Sofia Coppola aus dem Jahr 1993: "Zur Kultur von Interview gehört es, Menschen früh zu entdecken, in den Himmel zu loben und zumindest ein bisschen auszuziehen." Vor allem zeigt aber das Lexikon, dass sich die Macher der deutschen Ausgabe durchaus ihres Erbe bewusst sind.

Bernd Runge, früher bei Condé-Nast, ist Geschäftsführer der Verlagsgruppe, die ein Joint Venture von Runge und dem Gründer und Präsident der Moskauer Capital Group Vladislav Doronin ist. Er scheint sich sein Projekt einiges Kosten zu lassen, schließlich ist Topmodel Naomi Campell – sowohl für die russische als auch deutsche Ausgabe – als "International Editor at Large" eingekauft.

Für ein bessere Papierqualität schien es dann nicht mehr zu reichen: Es fühlt sich ein wenig billig an, weniger nach Magazin und mehr nach Zeitung. Dafür haben sie aber verstanden, dass heutzutage ein guter Internetauftritt von Bedeutung ist. Im minimalistischen Design und in Blogform finden sich unter anderem das "Buch der Woche", "Gespräche" und die Rubrik "5 Fakten".

"Unverschämt gute Laune bereitet"

Dennoch zeigt die erste Ausgabe des Interview-Magazins durchaus Potential. Allerdings wäre es spannend, mehr große Namen aus Deutschland an Land zu ziehen und so eine ausgewogenere Mischung zwischen internationalen und lokalen Prominenten herzustellen. Das wurde ein wenig mit Helene Hegemann versucht, die schnell zur Kolumnistin rekrutiert wurde. Sie schreibt vor allem darüber, dass sie keine Ahnung hat, wieso sie eigentlich für genau diese Arbeit angeheuert wurde. Und auch das Gespräch mit Vladimir Kaminer wirkt nicht wirklich innovativ.

Die Stärke der deutschen Interview-Ausgabe liegt vor allem in den kleineren Artikeln, die aus der Berliner Redaktion stammen – hier offenbart sich Witz und Meinung. Auch ein schönes Element ist die Rubrik "Entourage": Auf der Seite stellt Luis Venegas, ein innovativer und junger spanischer Magazingründer, seine Freunde vor. Ebenfalls nicht erwartbar ist der Briefwechsel zwischen Künstler Maurizio Cattelan und Sänger Adriano Celentano.

Das sorgt in der Tat dann für einen überraschenden Moment und bereitet Lesefreude. Am Ende ist Chefredakteur Koch seinem Ziel ein wenig näher gekommen. Im Editorial gibt er das Versprechen "jeden Monat unverschämt gute Laune zu bereiten".

Interview, 6 Euro, 10 mal im Jahr.

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