Traditions-Buchladen in Paris: Heiligtum der Literaturfreunde

Shakespeare and Company ist ein wunderbares Refugium, das mitten in Frankreichs Hauptstadt zum Schmökern einlädt.

Rast bei Shakespear and Company in Paris. Bild: Ulrike Wiebrecht

Winter in Paris. Rund um Notre-Dame pfeift ein kalter Wind, an der Seine braust der Feierabendverkehr. Statt zu flanieren scheinen sich die Passanten schnell an irgendwelche warmen Orte zu flüchten. Beispielsweise in den Buchladen Shakespeare and Company. Dort, am linken Seineufer, steht vor der Tür ein Tisch mit zwei Stühlen und einer Rotweinflasche. Ist das ein ernst gemeintes Angebot zum Verweilen? Den Hintergrund bilden ein überdachtes Bücherregal, handbeschriebene Tafeln und vollgepfropfte Auslagen eines Buchladens.

Was wohl passieren würde, wenn ich mich jetzt hier niederlassen, die Flasche öffnen und einen kräftigen Schluck zu mir nehmen würde? Wahrscheinlich würde es keinen erstaunen, denn bei Shakespeare and Company sind noch ganz andere Dinge möglich. Der Laden ist keine normale Buchhandlung oder ein Antiquariat, wie es viele von ihnen im Pariser Quartier Latin gibt. Er ist eine Institution. Ein ebenso liebenswürdiges und skurriles Relikt aus früheren Zeiten, das auf wundersame Weise in der kommerzialisierten Seine-Metropole überlebt.

Als ich den Laden betrete, werde ich nicht wie anderswo in Paris von geschulten Augen auf meine Kaufkraft hin gescannt. Nein, es nimmt gar keiner Notiz von mir. Ich kann mich unbehelligt in den verschachtelten Räumlichkeiten umsehen, Bücher aus den Regalen ziehen, in handsignierten Exemplaren blättern, mir zwischendurch an einem Tisch Notizen machen. Und es würde sich wohl auch keiner daran stören, wenn ich zwischendurch auf einer alten Schreibmaschine, die dort in einem Verschlag steht, ein paar Zeilen hacken, mir in einer der Kaffeemaschinen ein heißes Getränk brauen und kurz die Beine hochlegen würde.

Shakespeare and Company in der Pariser Rue de la Bûcherie 37, Telefon (00 33) 1 43 25 40 93, www.shakespeareandcompany.com, ist täglich von 10 (samstags und sonntags ab 11) bis 23 Uhr geöffnet. Es finden auch regelmäßig Lesungen, Buchpräsentationen und Konzerte statt.

Statt sich auf die Kunden zu stürzen, scheinen alle schwer beschäftigt zu sein. Eine junge Frau beugt sich über einen Computer, andere vertiefen sich in Bücher oder suchen nach irgendeinem Titel - eine hochkonzentrierte Atmosphäre. Die vielen Bücher, die die Wände der höhlenartigen Raumfluchten füllen, Schlucken jegliche Hektik der Großstadt. Noch die kleinste Lücke unter den Holzdecken ist mit englischsprachigen Druckwerken gefüllt.

Da findet sich Hemingways „The Old Man and the Sea“ neben „Ten Lost Plays“ von Eugene ONeill, Fotobände von Jazzlegenden, englische Parisführer oder auch die neue Biografie von Steve Jobs. Zwischen Kronleuchtern und einem Klavier flattern Schriftstücke an Pinnwänden, im Entree steht ein üppiges Blumenbouquet, in der oberen Etage befinden sich abgewetzte Sofas. Nicht umsonst hat Besitzer George Whitman als Motto für seinen Laden den altenglischen Ausspruch ausgegeben: „Do not be inhospitable to strangers, lest they be angels in disguise - sei nicht ungastlich zu Fremden, es könnten verkleidete Engel sein.“

Ursprünglich hatte die Amerikanerin Sylvia Beach 1919 in der Rue de lOdéon die englischsprachige Buchhandlung Shakespeare and Company eröffnet. Die wurde bald zum Treffpunkt der Lost Generation mit Vertretern wie Hemingway, Fitzgerald und T. S. Eliot. Die Besitzerin gab sogar James Joyce „Ulysses“ heraus. Doch als Paris von den Nazis besetzt wurde, musste sie 1941 ihren Laden schließen - weil sie sich weigerte, einem deutschen Offizier ein Buch zu verkaufen. Später sollte ihr Lebenswerk an anderer Stelle wieder aufblühen: Der aus Massachusetts stammende Weltenbummler George Whitman, der in Paris Französisch lernte und dabei Unmengen von Büchern sammelte, gründete 1951 in der Rue de la Bûcherie die Buchhandlung Le Mistral, die er anschließend in Shakespeare and Company umbenannte.

Wo sich um 1600 ein Kloster befand, hat er im Lauf von Jahrzehnten drei kleine Läden und drei Wohnungen auf drei verschiedenen Stockwerken zu einer Art Gesamtkunstwerk zusammengeführt. Doch mehr als der Rahmen beeindruckt das Innenleben: Ein wahres Heiligtum für Leser, Schriftsteller, Intellektuelle hat Whitman aus seinem Bookstore gemacht. Viele berühmte Menschen aus aller Welt sollen den Laden besucht haben, darunter Anaïs Nin, Lawrence Durrell, Alan Ginsberg und Henry Miller, der ihn als „Wunderland der Bücher“ bezeichnete.

Noch heute ist Shakespeare and Company ein Ort des lebendigen Austauschs, der Debatten, wo Ideen und Utopien für eine bessere Welt gehandelt werden. Es gibt Lesungen, zum Teil auch Konzerte und Schreibworkshops. Darüber hinaus nimmt man sich junger Literaten an: Sie dürfen schon mal umsonst auf einer der Liegen im oberen Stockwerk nächtigen, wenn sie ein bisschen im Laden mithelfen und jeden Tag etwas zu Papier bringen.

Dieses Konzept hat den Menschenfreund Whitman selber lange Zeit jung gehalten. Am 14. Dezember ist der 98jährige verstorben. „Wenn ich auf meine fünfzig Jahre als Buchhändler in Paris zurückblicke, scheint alles wie ein nicht enden wollendes Stück von Shakespeare, wo die Romeos und Julias immer jung sind, während ich selber ein Achtzigjähriger wie König Lear geworden bin, der langsam seinen Verstand verliert“, hatte er noch vor einigen Jahren resümiert.

Heute führt seine Tochter Sylvia das Geschäft. Und die Legende Shakespeare and Company lebt weiter. Ohne ausgeklügeltes Marketingkonzept behauptet sie sich als Besuchermagnet im immer teureren Quartier Latin. „Wenn ich verschwinde“, sinnierte Whitman einmal, „hinterlasse ich keine großen Besitztümer, nur ein paar alte Socken und Liebesbriefe, und meine Fenster mit dem Blick auf Notre-Dame, den ihr alle genießen könnt.“

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