Polizist wegen Räumungswarnung vor Gericht: Seltsame Mail an linkes Projekt

Zwei Jahre nach der Räumung des Hausprojekts Brunnenstraße 183 steht ein Polizist vor Gericht: Er soll in einer E-Mail die Bewohner vor dem Einsatz gewarnt haben.

Hausbesetzer und Polizisten verstehen sich selten. Bild: AP

BERLIN taz | Die E-Mail geht um 7.38 Uhr am 23. November 2009 bei den Bewohnern der Brunnenstraße 183 ein. "Liebe Bewohner, morgen wird euer Haus gegen 18 Uhr geräumt. Das ist kein Scherz!", eröffnet der anonyme Schreiber. "Ich bin zwar Polizist, solidarisiere mich aber mit der linken Szene. Bitte vertraut mir."

Dann verrät er, welche Gegenmacht dem alternativen Hausprojekt bevorsteht: "4 Hundertschaften sowie ein SEK-Team". Schließlich verabschiedet er sich "mit solidarischen Grüßen". Tags darauf, am 24. November 2009, wird das Haus von einem Großaufgebot an Polizisten geräumt.

Am Mittwochmorgen sitzt der vermeintliche Verfasser der Zeilen vorm Amtsgericht Tiergarten. Nils D., ein junger Bursche, 26 Jahre, grün-weiß gestreifter Pullover, angestrengter Blick. "Geheimnisverrat" wirft ihm der Staatsanwalt vor. D. habe mit der E-Mail den Polizeieinsatz und damit "wichtige öffentliche Interessen gefährdet".

Zudem habe der vom Dienst Suspendierte zwischen März 2009 und Januar 2010 sechsmal unbefugt Polizeidaten über Bekannte aus einem internen Auskunftssystem abgefragt. Letzteres gesteht D. ohne Umschweife. Er habe nur wissen wollen, wohin seine einstigen Bekannten verzogen seien. Die E-Mail an die Brunnen-Bewohner, die aber sei nicht von ihm.

Die Polizeiermittler sehen das anders. Der Einsatz habe einer besonderen Geheimhaltung unterlegen, er sei im Vorfeld deshalb als "Einsatz gegen Rockerkriminalität" angekündigt worden. Die E-Mail sei ihnen erst nach der Räumung in die Hände geraten, als ein Journalist der Jungen Welt bei der Pressestelle dazu Nachfragen stellte.

Die Nachricht sei von D.s IP-Adresse abgegangen, schildert ein Beamter. Dies bewiesen Daten der Provider. Abgeschickt worden sei sie von einem "Statham85", einem Alias, den D. für seine Zweit-E-Mail-Adresse genutzt habe.

Allerdings, räumt ein Ermittler ein, auf einem PC und Laptop, die bei einer Durchsuchung im April 2010 beschlagnahmt wurden, sei die Mail nicht gefunden worden. Auch nicht bei einem zweiten Laptop, den D. später freiwillig nachgereicht hatte. Die Verteidigerin sieht sich bestätigt. "Es wurde schlampig ermittelt."

Auch D.s Exfreundin nimmt den Angeklagten in Schutz. An besagtem Morgen habe ihr damaliger Freund verschlafen, sei nur ins Bad gehuscht und zur Arbeit gefahren, sagt die Frau. "Vorm PC war er definitiv nicht." D. habe auch keine linken Freunde gehabt. Eine Polizeikollegin verteidigt D. ebenfalls. Dieser habe stets vorbildlich gearbeitet. "Der wars nicht." Und auch andere Kollegen hätten ja über die Räumung "gemunkelt".

Was nun? Der Richter kündigt an, einen weiteren Prozesstag einzuberufen. Am 18. Januar soll ein Sachverständiger klären, ob ein Unbekannter über die Internetverbindung von D. die E-Mail verschickt haben könnte.

Die Bewohner der Brunnenstraße 183 hatten die E-Mail damals als "Provokation" eines "Polizeiinformanten" aufgefasst. "Wir sind davon überzeugt, dass eine gewalttätige Verteidigung des Hauses forciert werden sollte", hieß es in einer Mitteilung. So hätte der Presse ein "Terrornest" präsentiert werden können.

Das Haus, 1990 einst besetzt, steht seit seiner Räumung leer. Der Eigentümer, ein Passauer Arzt, wollte ein Mehrgenerationenhaus errichten, scheiterte aber mit seinen Bauanträgen. Ende 2010 verkaufte er das Haus an einen Hamburger Immobilienunternehmer. Der will nun sanieren und ab 2013 Mietwohnungen "im mittleren Preissegment" anbieten, im Hinterhof ein Townhouse bauen. Baugenehmigungen stehen dafür noch aus.

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