Niedersachsens SPD-Hoffnungsträger Stephan Weil:: "Sie werden von mir hören"

Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil will bei der Wahl zum niedersächsischen Landtag 2013 Ministerpräsident David McAllister (CDU) herausfordern.

Will nicht nach Berlin: Stephan Weil findet Pendeln viel zu anstrengend. Bild: dpa

taz: Herr Weil, sind Sie eigentlich Hausbesitzer?

Stephan Weil: Ja.

Und wie finanziert?

Bei der Sparkasse Hannover. 1989 gekauft, in mehreren Etappen modernisiert, sodass ich das Häuschen auch 22 Jahre später noch abbezahle. Vermögende Freunde sind daran nicht beteiligt.

Nach der Kreditaffäre von Bundespräsident Christian Wulff dachten wir, das sei im verfilzten Hannover üblich…

Einspruch. Das ist im Moment der Tenor in den Medien. In der Affäre geht es aber um zwei Osnabrücker Freunde. Dass sie unter der Überschrift Hannover diskutiert wird, nehme ich mit einer gewissen Irritation zur Kenntnis.

Die Affäre wirft aber ein Licht auf das private Umfeld von Herrn Wulff mit Personen aus Hannover.

53, ist seit 2006 Oberbürgermeister von Hannover und wurde Ende November per Urwahl von den niedersächsischen SPD-Mitgliedern zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2013 gekürt.

Bei einem Parteitag im Januar soll er zugleich zum Landesvorsitzenden der SPD gewählt werden, der er seit 31 Jahren angehört. Bei der Urwahl setze er sich mit 53,5 Prozent der SPDler-Stimmen knapp gegen Noch-Landeschef Olaf Lies mit 46,3 Prozent durch.

Weil ist Vorsitzender des Verbands kommunaler Unternehmen und der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik.

Vor seiner Zeit an der Spitze des Rathauses war der Jurist, der als Ziehsohn von Ex-Langzeitoberbürgermeister Herbert Schmalstieg gilt, zehn Jahre lang Hannovers Stadtkämmerer.

Das stimmt.

Welchen Versuchungen begegnet man als Oberbürgermeister?

Ich bin in den letzten Jahren keiner begegnet. Ich wüsste auch nicht, dass wir in Hannover jüngst Filzproblematiken hatten, wie sie in Städten immer mal wieder auftauchen.

Worum geht es dann?

Das Thema ist im Kern eine völlig untypische Dichte von Spitzenpolitikern aus allen Parteien, die aus der niedersächsischen Landespolitik kommen und in Berlin wichtige Positionen eingenommen haben. Das wirft die Frage auf, was hier in Hannover eigentlich los ist. Die Beantwortung dieser Frage entspinnt sich manchmal entlang von Verschwörungstheorien, die mit der Realität nicht viel zu tun haben.

Also keine Maschsee-Connection?

In Hannover ist der Rahmen überschaubar, wie in anderen Städten dieser Größenordnung auch. Viele Menschen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft kennen sich. Es gibt aber keine Seilschaft zwischen Personen wie beispielsweise Ursula von der Leyen und Gerhard Schröder.

Ist der Aufstieg in diese Riege auch Ihr Ziel, wenn Sie jetzt in die Landespolitik gehen?

Nein, ich bin ein notorischer Heimschläfer. Pendeln zwischen Berlin und Hannover fände ich viel zu anstrengend.

Warum haben Sie sich einst für die SPD entschieden?

Ich bin Baujahr 1958. Die Zeit meiner politischen Sozialisation hängt eng mit der sozialliberalen Bundesregierung zusammen. Das war für mich die Initialzündung. Willy Brandt hatte damals auf junge Leute eine Wirkung, die heute mit der von Barack Obama in den USA vergleichbar ist.

Ein charismatischer Typ.

Absolut.

So müssen Sie auch begeistern!

Nein, ich würde mich hoffnungslos überheben, wenn ich versuchen würde, jemanden wie Willy Brandt zu imitieren. Jeder hat seinen eigenen Stil.

Sie müssen aber im kommenden Jahr über die Partei wirken.

Meine bisherige Erfahrung ist, dass der Typus, den ich verkörpere, ankommt. Die Leute empfinden es offenbar als angenehm, dass sie bei mir davon ausgehen können, dass es mir um Argumente geht und ich eine Meinung habe, die ich auch begründen kann.

Sie sagen, es sei kein Zufall, dass bei den kommenden Landtagswahlen auch in Schleswig-Holstein und Bayern Bürgermeister für die SPD antreten. Wie meinen Sie das?

Was uns verbindet ist zum einen die Entwicklung in der SPD. Der Schock der Bundestagswahl 2009 hat eine Erneuerung ausgelöst, inhaltlich und personell. Die kommunale Ebene ist stärker in den Mittelpunkt gerückt, man sieht, dass die SPD dort Menschen hat, die gut regieren. Bürgermeister sind zudem ein besonderer Typus Politiker, sie ticken tendenziell anders als Bundes- und Landespolitiker.

Inwiefern?

Wir proklamieren Bürgernähe nicht, wir sind es zwangsläufig. Wenn wir die Nase zu hoch tragen, können wir keine gute Arbeit machen. Wenn wir nur Grundsatzreden halten, ernten wir keine Lorbeeren. Von uns erwartet man Lösungen.

Sie nennen das Bürgermeister-Phänomen auch Erneuerung der Partei von unten. Ist das angesichts der offenen Unterstützung der Parteispitze, die bei der Kandidatenkür für Sie kam, nicht eine nachträgliche Konstruktion?

Bürgermeister bringen eine andere politische Sozialisation mit. Nach einem Vierteljahrhundert kommunaler Arbeit ist man anders geprägt als ein junger Bundestagsabgeordneter, der nach seiner Assistentenzeit ein Mandat kriegt und sich dann im Berliner Politikbetrieb langsam in eine bestimmte Position bringt. Wir brauchen beide Typen. Mein Eindruck ist aber, dass der SPD ihre Erneuerung hin zu einer Partei mit ausgeprägter Bodenhaftung sehr gut tut.

Dennoch war die Unterstützung der Parteiprominenz für Sie nicht unumstritten.

Auch Sigmar Gabriel hatte bei der Urwahl nur eine Stimme wie alle anderen niedersächsischen SPD-Mitglieder.

Kamen die entscheidenden parteiinternen Empfehlungen nach Ihrer Auffassung nicht von oben?

Ganz und gar nicht. Die wirklich wichtigen Anstöße kamen für mich von Menschen, die ich aus der kommunalen Arbeit kenne und die mir gesagt haben, wir erwarten von dir, dass du antrittst. Wir können als Kommunalos nicht immer nur sagen, wie die Rahmenbedingungen sein sollen, wir müssen die Gestaltungsmöglichkeiten auch nutzen, wenn wir die Chance haben.

Ist die Niedersachsen-SPD nach der Kandidatenkür in zwei Lager um Sie und Ihren Kontrahenten, den Noch-Landeschef Olaf Lies, geteilt?

Nein, Olaf Lies und ich haben ein sehr entspanntes Verhältnis. Die schwarz-gelbe Landesregierung wird sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass sie es im nächsten Jahr mit einer geschlossenen und siegeswilligen SPD zu tun haben wird.

Beim Auseinanderdriften der Bezirke, einem historischen Problem der Niedersachsen-SPD, müssen Sie eine Einigung aber noch vorantreiben.

Das gilt in Niedersachsen generell: Das Land ist kein Einheitsstaat, man versteht es nur, wenn man es von den Regionen her denkt. Die niedersächsische SPD hat immer dann Erfolg gehabt, wenn sie diese Vielfalt in eine Stärke umwandeln konnte und man sich nicht gegenseitig blockiert hat. Wir sind uns einig, dass solche Diskussionen mit dem Mitgliederentscheid zu Ende sind und es jetzt gemeinsam weitergeht. Man wird an meinem Führungsverhalten klar ablesen können, dass ich das bitterernst meine.

Das wird nötig sein: Äußerungen über Ihren Konkurrenten sind im parteiinternen Wahlkampf oft als vergiftetes Lob wahrgenommen worden.

Das habe ich auch in der Presse gelesen. Das Lob war aufrichtig gemeint.

Es geht aber auch darum, über Worte Vertrauen und Begeisterung zu gewinnen.

Ich habe da überhaupt keine Bedenken. Es muss in einer politischen Partei aber auch möglich sein, dass man um einen Posten konkurrieren und nach der Entscheidung unbefangen weitermachen kann.

Müssen Sie an der Rhetorik arbeiten, wenn Sie so missverstanden werden?

Wohl kaum. Im Übrigen kann man sich letztlich vor Fehlinterpretationen nicht schützen.

Ist Angst vor Fehlern ein guter Ratgeber, wenn man die Landesregierung herausfordert?

Bei diesem Gegner werde ich sicher nicht in der Versuchung sein, mich über positive Formulierungen auszudrücken.

Mit CDU-Ministerpräsident David McAllister haben Sie aber doch auch schon einen fairen Wahlkampf vereinbart.

Für politische Wirtshausschlägereien bin ich nicht der Typ. Es bleibt abzuwarten, ob die anderen das durchhalten.

Auch bei den Inhalten sind Sie der vorsichtigere Kandidat der Partei gewesen: Sie sind ebenfalls gegen Studiengebühren, versprechen aber nicht deren Abschaffung. Setzen Sie nicht zu stark ein Primat auf die Finanzpolitik?

Ich meine es mit der Abschaffung der Studiengebühren sehr ernst. Wir gehen aber im Moment und auch 2012 noch währungspolitisch über ganz dünnes Eis. Ich würde den Leuten Sand in die Augen streuen, wenn ich gleichzeitig feste finanzwirksame Versprechen mache. Ich bin überzeugt, dass die Menschen nicht an den guten Absichten von Politikern zweifeln, sondern daran, ob die Politiker ihre Absichten auch umsetzen können. Deshalb schätzen sie zunehmend Politiker, die von den Realitäten ausgehen.

Wie sehen Sie den Stil des Gegners, dem Sie jetzt gegenüberstehen?

Herr McAllister hat einen ganz anderen Werdegang als ich. Er hat sich von Anfang an auf die Politik konzentriert. Ich habe bis zu meiner Wahl zum Oberbürgermeister immer eine gewisse Distanz zum politischen Betrieb gewahrt. Dadurch hat man einen anderen Blickwinkel. Auch in meinen zehn Jahren als Stadtkämmerer war ich noch in einer Halbdistanz, zwar politischer Beamter, aber nicht unmittelbarer Teil des Betriebs.

Und abgesehen von der Biographie?

Mein Hauptkritikpunkt an der derzeitigen Landesregierung ist, dass sie die Interessen Niedersachsens an den entscheidenden Punkten hintenanstellt und sich im Zweifel den Parteioberen in Berlin unterwirft.

Wo zeigt sich das genau?

In der Energiepolitik etwa: Herr McAllister hat für die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke gestimmt. Erst nach Fukushima und nachdem die Kanzlerin gesagt hat, wir steigen aus, hat auch Herr McAllister das gesagt. Weiteres Beispiel: Niedersachsen hat gravierende finanzielle Probleme. Gleichwohl ist Herr McAllister bereit, weiteren Steuersenkungen zuzustimmen und damit die finanzielle Handlungsfähigkeit des Landes zu gefährden.

Er hat jüngst mit dem Vorstoß, die Gorleben-Erkundung 2013 zu stoppen, zumindest für Schlagzeilen gesorgt.

Auch hier hat er verpasst, für niedersächsische Interessen einzutreten. Es gibt so massive Zweifel an der Eignung von Gorleben als Atommüllendlager, dass man als Niedersachse schlicht und einfach sagen muss: Tut uns leid, hier nicht, Gorleben ist der falsche Standort.

Angesichts präsidialer Affären etwas aus den Schlagzeilen heraus ist die Kritik an der derzeitigen Ausländerpolitik und ihren Abschiebefällen.

Was hier passiert, ist eines Landes wie Niedersachsen nicht würdig. Mit einer anderen Verwaltungspraxis im Innenministerium kann man auch zu humaneren Lösungen kommen.

Das Innenministerium sagt, so seien die Gesetze.

Und warum hören wir dann diese Skandalfälle aus Niedersachsen und aus anderen Bundesländern nicht?

Gelegentlich schon.

Aber doch nicht in diesem Maße! Als gelernter Jurist habe ich großen Respekt vor Rechtsvorschriften und bin nicht geneigt, sie zu beugen. Ich war aber früher einige Jahre im niedersächsischen Justizministerium der so genannte Gnadenreferent, der Gnadenentscheidungen der Ministerin vorbereitet. Seitdem weiß ich, dass der Grundsatz Gnade vor Recht im Ausnahmefall absolut richtig und auch notwendig ist.

Und die Integrationsministerin, selbst Migrantin, schweigt.

So nimmt man Aygül Özkan zunehmend wahr. Ich halte Integration für ein Querschnittsthema, das man in die Staatskanzlei holen sollte, weil es alle Ressorts betrifft und alle mit ins Boot müssen.

Für Kontroversen sorgt immer wieder auch Niedersachsens Agrarindustrie.

Die nächste Landesregierung wird gemeinsam mit dieser Industrie dazu beitragen müssen, dass man von der Quantität zu mehr Qualität kommt.

Wie meinen Sie das?

Bei der industriellen Erzeugung von Nahrungsmitteln gibt es erhebliche Akzeptanzprobleme. Die Agrarindustrie ist gut beraten, sich gemeinsam mit dem Land auf den Weg zu machen, umzusteuern. Verschärfte Tierschutzbestimmungen sind wichtig, wichtiger ist aber, sich mit der Wirtschaft auf einen Umstellungsprozess zu einigen, in dem der Verbraucherschutz vorneansteht. Es geht hier ja um etwas - die Ernährungswirtschaft ist der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in Niedersachsen.

Prozess klingt nach einem möglichst großen Zeitfenster.

Das ist nicht die Intention. Wie bei vielen anderen Veränderungen auch, gibt es immer Vermittlungsprobleme. Als man vor vielen Jahren mit Umweltschutz und Energieeffizienz begonnen hat, gab es viele Widerstände in der Wirtschaft. Heute ist die Energieeffizienz gemeinsamer Nenner aller Industriezweige. Die Agrarunternehmen werden sich allein wegen der Akzeptanz bei den Verbrauchern bemühen, auf deren zunehmende Bedenken einzugehen.

Ist es ein Nachteil, im Rathaus zu sitzen, während solche Debatten im Landtag und den Medien laufen?

Warum? Das hat mich bis jetzt nicht daran gehindert, meine Meinung zu sagen. Ich habe zuletzt so viel über mich lesen und hören können wie nie zuvor, das scheint zu funktionieren. Und auch im nächsten Jahr werden Sie von mir hören.

Die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Landtag haben Sie aber nicht.

Der Ministerpräsidenten ist dafür womöglich dankbar. Das hat aber auch Vorteile: Mir geht es nicht um politische Rituale. Deshalb ist es mir recht, dass ich die Auseinandersetzung sehr nüchtern und sachlich suchen kann, und nicht versuchen muss, im Landtag alle anderen an Schärfe zu überbieten.

Diese Rituale sind aber leicht vermittelbar.

Das Interesse und die Begeisterung für eine Politik dieser Rituale haben in den vergangenen Jahren nicht unbedingt zugenommen, eher im Gegenteil. Viele Leute haben den Eindruck, die Politik streitet sich über Nebensächlichkeiten und diskutiert die Hauptfragen nur am Rande. Für mich steht die Lösung drängender Probleme im Vordergrund.

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