Russlands Präsident zur Lage der Nation: Plädoyer für Reformen zum Abschied

Dmitri Medwedjew stellt die Liberalisierung des politischen Systems in Aussicht. Dazu gehören die Direktwahl der Gouverneure und ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender.

Kündigte am Donnerstag Reformen an: Russlands Präsident Dmitri Medwedjew. Bild: dpa

MOSKAU taz | Dmitri Medwedjews Adresse an die Nation fiel in diesem Jahr kürzer aus als sonst. Es war nicht nur die letzte programmatische Rede des im Mai scheidenden Kremlchefs, sie enthielt erstmals auch Brisanz.

Eigentlich wollte der Interimspräsident über seine Errungenschaften und die konsequente Fortsetzung der Kremlpolitik sprechen. Das schlechte Ergebnis der Staatspartei "Geeintes Russland" bei den Dumawahlen Anfang Dezember, die Vorwürfe massiven Wahlbetrugs und Zigtausende Demonstranten auf russischen Straßen zwangen die Redenschreiber des Kremls indes die Wirklichkeit zu thematisieren.

Heraus kam der vorsichtige und vorerst nur angekündigte Einstieg in die Demontage des autoritär- überzentralisierten Systems Putin. "Russland braucht Demokratie und kein Chaos", sagte Medwedjew. Im Stile seines Ziehvaters Putin verpasste er der Opposition und dem Westen zum Auftakt auch noch eine Breitseite: "Wir lassen es nicht zu, dass Provokateure und Abenteurer die Gesellschaft in ihre Eskapaden hineinziehen. Wir lassen es auch nicht zu, dass sich jemand von außen in unsere inneren Angelegenheit einmischt".

Danach wurde der Präsident jedoch sachlich und stellte maßgebliche Reformen des politischen Systems in Aussicht, von denen er selbst in den verbleibenden Monaten einige noch in Angriff nehmen wolle. Zuallererst nannte er die Wiedereinführung von Direktwahlen der Gouverneure in den Provinzen, die seit 2004 der Kreml ernennt. Ex-Präsident Wladimir Putin stellte die Abschaffung der Wahlen damals als Maßnahme zur Stabilisierung des politischen Systems dar. Tatsächlich diente der Schritt jedoch der Stärkung der persönlichen Macht des Kremlchefs und seiner Entourage. Letzt Woche hatte Putin bereits eine Lockerung angedeutet, schloss Direktwahlen jedoch noch aus. Auch Medwedjew hatte noch im Mai die Rückkehr zum alten Wahlmodus kategorisch abgelehnt.

Provinzfürsten Schlusspunkt in Putins Machtvertikale

Die Abhängigkeit der Provinzfürsten war der Schlusspunkt in der von Putin geschaffenen Machtvertikale. Die Bereitschaft der politischen Führung jetzt einzulenken, zeigt, wie verunsichert, schwach und ratlos sie ist.

Neben den Wahlen sollen die Regionen auch wieder mehr Kompetenzen erhalten. Der Zentralismus setzte nicht nur den Föderalismus außer Kraft, er erwies sich auch als ineffektiv. Nun ist wieder Dezentralisierung angesagt.

Auch die Registrierung von Parteien soll erleichtert werden. Die bisherige Gesetzgebung zielte einzig darauf ab, jegliche politische Konkurrenz im Keim zu ersticken. Ebenso deutete Medwedjew Veränderungen beim Wahlmodus der Dumaabgeordneten an und stellte Erleichterungen bei der Registrierung als Präsidentschaftskandidat in Aussicht. Allesamt Forderungen, die in den letzten Jahren von der Opposition erhoben wurden.

Überdies plädierte der Kremlchef für die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders. "Ich schlage vor, in allernächster Zeit einen öffentlichen Sender auf der Grundlage eines der föderalen Kanäle zu gründen", meinte Medwedjew. Weder Staat noch Eigentümer dürften dort das letzte Wort haben.

Das gleichgeschaltete Fernsehen war bislang eine der wichtigsten Stützen des Regimes. Als Medwedjew dies vorschlug, schwenkten die Kameras auf den stellvertretenden Präsidialamtsleiter und Chefideologen, Wladislaw Surkow, der die Medien mit eiserner Hand auf Linie brachte. Premier Wladimir Putin hörte den Ausführungen Medwedjews in der ersten Reihe zu. Nur zweimal kurz blendete das Fernsehen - wohl aus Rücksicht auf die Stimmung im Land - den blassen Präsidentschaftskandidaten ein. Es bleibt abwarten, ob den Worten auch Taten folgen. Das war bislang nicht Medwedjews starke Seite.

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