DFB-Pokal Schalke gegen Gladbach: Ein "spezialer" Lehrer, der immer lernt

3:1 im Pokal gegen Titelverteidiger Schalke: Unter Lucien Favre, dem "Trainer des Jahres", macht sich bei Gladbach ausgelassene Gelassenheit breit.

Da hat die Borussia sich und die Fans schön beschert. Bild: dpa

GLADBACH taz | Wenn das kein Wunder ist, dann gibt es keines auf der Welt. Borussia Mönchengladbach, vor zehn Monaten abgeschlagen Letzter der Bundesliga, hoffnungslos und hilflos, ist mit tollem Fußball in der Liga ganz oben dabei und hat sich am Dienstagabend mit einem in der 2. Halbzeit mitreißenden Pokalspiel 3:1 gegen Titelverteidiger Schalke ins Viertelfinale geschossen. Erklären können sie die Auferstehung alle nicht recht: „Irgendwas haben die Relegationsspiele in der Mannschaft ausgelöst“ sagt jetzt Vizepräsident Rainer Bonhof.

Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein Rückenwind, der zum Sturm wurde. Der Glaube an eine verborgene Stärke. Irgendsowas. Wohin man auch guckte - und das vor dem Spiel!-, sah man Gladbacher Vereinsfreunde mit einem Lächeln im Gesicht. Überall. Zufrieden, manchmal albernd und einfach guter Dinge über den Lauf der Dinge. Der Niederrhein ist derzeit eine Zone ausgelassener Gelassenheit. Wenn alles am Trainer liegt, dann muss man ihn Wunderheiler nennen. Der Schweizer Lucien Favre hatte die Trümmertruppe im Februar übernommen. Er kam als Unikum, nach anfangs Erfolg und späterem Absturz bei Hertha BSC, mit lustigem Frankophil-Deutsch, nuschelig, introvertiert, irgendwie niedlich und schrullig. Aber ein Retter? Sein erstes Spiel war übrigens auch gegen Schalke (2:1).

Gau für den Übungsleiter

Am Dienstagabend sagte er in den Siegesjubel einer ganzen Region: „Ich bin sehr enttäuscht.“ Und er meinte das ernst. Favre meinte die Phase nach dem 2:1, als zehn Schalker (Gelbrot für Huntelaar) richtig Angst auslösten im ausverkauften Nordpark. „Die Ordnung war verloren gegangen“, so Favre. Das ist eine Art Gau für einen Übungsleiter. Man sehe daran, so favre, wie viel „arbeiten, arbeiten, arbeiten“ noch bleibe, Abläufe perfektionieren, Details büffeln. Favre ist ein Pedant der Sache. „Es ist schwer gegen uns zu spielen. War es auch für Schalke“ - aber eben schrecklicherweise nicht 90 Minuten. Dass ein Match Phasen haben kann, das möchte Lucien Favre nicht akzeptieren.

Favre ist ziemlich anders. Der Sohn eines Bauern aus dem Hinterland von Lausanne hört genau zu. Er sucht auf Fragen immer auch für sich selbst nach Antworten, nach neuen kleinen Erkenntnissen für das in seiner zufallsgeladenen Komplexität so unerklärbare Spiel. Der Lehrer, der immer lernt. Wirkt hochkonzentriert und immer ein bisschen schüchtern. Ein Suchender. Sprüche und Koketterie kennt er nicht. „Ja, wir haben schon enorm viel geschafft.“

Die Botschaft: Eigentlich war es nicht viel. „Es gibt noch so viele Schritte zu verbessern.“ Lucien Favre hat Trainer ganz absichtlich von ganz unten gelernt: Nach seiner aktiven Zeit (24 Länderspiele) übernahm er 1991 die C-Schülermannschaft von Echallens, ein Dorf im Kanton Waadt. „Ich wollte sehen, ob Trainer etwas für mich ist.“ Zehn Jahre übte er das Üben unterklassig. Und er hatte überall Erfolg. Heute lobpreisen alle bei der Borussia seine Akribie, seine Freundlichkeit und Höflichkeit. Rainer Bonhof sagt, Favre erzeuge bei allen Spielern ein besonderes „Wohlfühl-Gefühl“. Der Fotograf des Magazins /11 Freunde/ hatte neulich geschlagene vier Minuten Zeit für seine Bilder. „Favre fand trotzdem Zeit, die im Regen arbeitenden Greenkeeper ausgiebig zu begrüßen“, staunte er. Und das Blitzshooting haute auch hin.

Jeder Fehlpass tut weh

Jeder Fehlpass scheint Lucien Favre weh zu tun, weil er seinen naiven Glauben an Perfektion berührt. Sicher, weiß Favre, „33 Punkte und Viertelfianle, das ist unglaublich, das ist sehr spezial, aber wir bleiben solid.“ Ein Spitzenteam sei die Borussia noch lange nicht: „Wir bleiben eine Überraschungsmannschaft.“ Einer trägt ihm noch vor, Bundestrainer Jogi Löw habe ihn am Abend im Fernshen „Trainer des Jahres“ genannt. Ein Lächeln, dann: „Schönes Kompliment.“ Pause, und: „Ich akzeptiere.“ Favre sagte noch: „Die Gedanken der Spieler sind manchmal noch zu langsam.“ Wenn man Borussias Spiel sieht, ahnt man was er meint: Jeder Moment kann Balleroberung bedeuten, und dann muss ich schon wissen, wo ich den Ball hingespielt haben werde. Blitzschnell soll das gehen. Das hetzt den Gegner.

Es klappt oft; aber, leider, eben nicht immer. Doch da ist ja noch dieser sehr speziale Marco Reus, der (mal wieder) zwei Tore selbst schoß und das 1:0 spektakulär überraschend per Vollspannpass vorbereitet hatte. Schalkes Jermaine Jones hatte versucht, vom Schiedsricher unbemerkt, Reus aus dem Spiel zu nehmen, indem er ihn in einer Spielpause mit brutaler Absicht auf den lädierten Fuß trat. Widerlich. Eine nachträgliche Sperre von ein paar Pokaljahren wäre in der Weihnachtszeit ein barmherziges Maß. Als Rüpel Jones kommentarlos zum Bus schlich, wurde gerade das Viertelfinale ausgelost. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, hatten die euphorisierten Fans schon lange vorher hellseherisch skandiert - wenn auch etwas anders gemeint. Seinen Exclub Hertha als nächsten Gegner fand Lucien Favre dann, klar, „sehr spezial“.

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