EU-Untersuchungsausschuss zu Afghanistan: Die Verschollenen vom Hindukusch

Wo hakt es bei den Hilfsgeldern für Afghanistan? Das Europäische Parlament hat die Mängel der bisherigen EU-Fördermittel untersucht.

Afghanische Polizisten beim Ausbildungstraining: Wo sind sie bloß hin? Bild: AP

STRASSBURG taz | Es ist Mittwochabend zu später Stunde, als im Europäischen Parlament in Straßburg die Zukunft Afghanistans debattiert wird, und der Abgeordnete Jens Geier zwei irritierende Zahlen nennt: "Die Nummer der afghanischen Polizisten schwankt", so der SPD-Politiker, "zwischen 112.000 und 125.000". Wie viele es wirklich seien, wisse man nicht, sagt Geier.

Aber es sei möglich, dass die Differenz von 13.000 Verschollenen dadurch entsteht, dass die afghanischen Behörden die Zahlen höher ansetzen. Die überzähligen Gehälter werden eingesteckt. Nicht hinnehmbar, so Geier: "In keinem afghanischen Hilfsprojekt geht es um so viele EU-Mittel."

Der Essener ist Mitglied im Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments, das vergangene Jahr hat er federführend den Verbleib der EU-Mittel in Afghanistan untersucht. Es geht um eine Menge Geld: Zwei Milliarden Euro Hilfsgelder aus der EU flossen bisher in afghanische Projekte.

Bei seinen Untersuchungen stieß Geier immer wieder auf Fälle wie den der fehlenden Polizisten. Etwa auf den einer NGO, die als reiner Familienbetrieb die Hilfsgelder zur eigenen Bereicherung einbehalten hat. Hätte es nicht irgendwann ein ehemaliger Mitarbeiter an die EU-Antikorruptionsbehörde OLAF gemeldet, wäre der Fall möglicherweise gar nicht entdeckt worden.

Die Untersuchungen des Haushaltskontrollausschusses berühren einen kritischen Punkt im zehnten Jahr des Einsatzes in Afghanistan. Die Frage, wie der Aufbau in einem Land mit schwachen Institutionen und hoher Korruption umgesetzt werden kann. Denn auch wenn Deutschland und die Nato-Partner bis 2014 den Abzug der Kampftruppen in Afghanistan vollendet haben wollen, so wird das nicht für die zivile Hilfe gelten. Im Gegenteil: Sie wird auch danach noch gebraucht, möglicherweise sogar noch wichtiger werden.

Doch es ist nicht nur die Korruption, die als Mängel die Arbeit am Hindukusch weniger effizient machen, als gewünscht. So würden laut Bericht des Haushaltskontrollausschusses zahlreiche Projekte zu kurzfristig angesetzt und damit nicht nachhaltig wirken. Und in anderen Fällen gehen Mittel durch eine lange Kette an Unterauftragnehmern verloren. Jeder zweigt sich seinen Teil als Bürokratieaufwand ab.

Doch wie umgehen mit diesen unschönen Befunden? Die Meinungen in Europa gehen auseinander: "Wenn wir wollen, dass die Afghanen besser in der Verwaltung werden, müssen wir ihnen auch die Mittel dazu in die Hand geben", sagt Jens Geier von der SPD. Er plädiert für Budgethilfe. Also für Hilfszahlungen, die nicht an Projekte gehen, sondern direkt in den Haushalt der afghanischen Regierung.

Bisher hat sich die EU davon ferngehalten. "Nur so können wir Eigenverantwortung fördern und die Beteiligung der Bevölkerung sichern", so Geier.

Anders sieht es der fraktionslose Martin Ehrenhauser: "Korruption, unrealistische Zeitplanungen, keine Garantie, wie die Mittel verwendet werden - wir müssen die bewaffnete Entwicklungshilfe so schnell wie möglich beenden", sagt Ehrenhauser. Wie sich die Europäische Kommission zur Frage der Budgethilfe positioniert, wurde auch bei der Parlamentsdebatte nicht eindeutig, man hält sich alle Optionen offen.

Zwar wolle man "langfristige Perspektiven verfolgen" und "die Regierung stärken", sagte EU-Kommissar Laszlo Andor, aber die Korruption müsse eben auch zurückgedrängt werden. Eine Entscheidung darüber fällt im kommenden Jahr.

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