Demonstrationen in Russland: Wladimir Putins letztes Aufgebot

Die Gegenoffensive des Kreml in Form einer Jubelkundgebung für die Regierung in Moskau geht in die Hose. Denn viele junge Leute hatten keine Wahl. Sie mussten teilnehmen.

Jubeln für Putin: Kundgebung für die russische Regierung am Montag in Moskau. Bild: reuters

MOSKAU taz | "Sie haben den Irak bombardiert, Libyen zerschlagen und denken jetzt an Russland", heizt der Redner den Versammelten ein. Der Funken will nicht überspringen, wie düster der Agitator die Bedrohung aus dem Westen auch schildern mag. Es ist Dmitri Rogosin, Russlands Emissär bei der Nato in Brüssel. Ein Falke, klug, gefährlich und verschlagen. Er soll an diesem Montagnachmittag die Massen mobilisieren für die Wiederwahl Putins ins Präsidentenamt. Einige tausend Demonstranten - laut Polizei 25.000, bestenfalls jedoch 5.000 - haben sich auf dem Manege-Platz in Moskau versammelt.

Die Veranstaltung war als Antwort auf die Großdemonstration gegen Wahlfälschungen mit mehr als 50.000 Teilnehmern am Wochenende gedacht. Viele Jugendliche und Studentinnen wurden gegen ihren Willen mit Bussen aus Schulen und Universitäten hingebracht, flüchteten aber, sobald sich die Chance ergab. Wer ausharrte, waren Rentner und Jugendliche, die nicht zu den Gewinnern der satten Putin-Jahre gehören. Ärmlich gekleidet, eingeschüchtert und hilflos.

Auf Fragen wollten nur wenige antworten. Funktionäre meist, die Masse war angewiesen worden, mit der Presse nicht zu sprechen. Sie waren überhaupt etwas mundfaul. Auch Sprechchöre vom Podium, "Putin! Russland!", "Putin - unser Präsident", fanden im Volk keinen Verstärker. Umgerechnet 5 bis 10 Euro sollen die Organisatoren Teilnehmern geboten haben, berichtete der Moskowski Komsomolez.

Heiterkeit zum Schluss

Zum Schluss kam dann doch noch etwas Heiterkeit auf. Der 75-jährige Schnulzensänger Josif Kobson stimmte die Nationalhymne an. Kobson ist nicht nur wegen seines Toupees eine Legende, schon zu Sowjetzeiten wurden ihm enge Kontakte zur Unterwelt nachgesagt. Kobson hält sich immer an die Regierenden und sitzt als Abgeordneter der Staatspartei für Burjatien in der Duma. Ein angeheiteter Vierzigjähriger, der eine Fahnenstange des "Jungen Russlands" hielt oder sie ihn, rief begeistert: "Was, der lebt immer noch!"

Die Gegenoffensive der Kremlpartei misslang. Sie glich einem bedrückenden Requiem. Dabei war die Totenmesse glänzend organisiert, erstmals standen mehr mobile Toiletten bereit als Bedürftige.

Die Demonstranten vom Samstag warten unterdessen darauf, dass die Machthaber auf die Forderungen nach Neuwahlen und Entlassung des Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission reagieren. Der Kreml hat jedoch anderes zu tun. Das verunsichert auch jene, die dem Führungsduo lange loyal gegenüberstanden. Studentinnen eines Eliteinstitutes äußerten sich im persönlichen Gespräch ratlos. Sie wagen es nicht, an Demonstrationen teilzunehmen, da sie fürchten, den Studienplatz zu verlieren. "Unsere Angst sitzt in den Genen!", meint ein Student. "Was sollen wir noch glauben?" Auch ihnen wird eingebläut, die USA wollten in Russland eine orange Revolution wie in der Ukraine anzetteln. Sie baten, weder Namen noch Universität zu nennen. "Das Schlimmste aber ist, wir werden abgehört und wissen nicht, welcher von unseren Kommilitonen schon für den Geheimdienst arbeitet".

Am Montag gab der Milliardär Michail Prochorow bekannt, bei den Präsidentenwahlen als Kandidat für die Wähler des liberalen Spektrums anzutreten. In oppositionellen Kreisen ist jedoch umstritten, ob er als unabhängiger Kandidat oder als gedungener Statthalter des Kreml auftritt. Auch Alexander Kudrin, der im September entlassene Finanzminister, kündigte die Gründung einer liberalen Partei an. Nie sei er ein Gleichgesinnter Putins gewesen, sagte der Finanzexperte.

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