Reportage von der Castor-Strecke: Routine und Rempeleien

Der Castortransport ist Routine - auf beiden Seiten. Dennoch ist er jedes Mal anders. Dieses Mal gab es Unterstützung aus Japan.

Hunderte von bis zu 23.000: Demonstranten auf dem Weg zum Schottern. Bild: Roland Geisheimer / Attenzione

Greenpeace schlägt bei Lüneburg zu. Aktivisten umgehen die Polizei, legen sich bäuchlings auf die Gleise der Castorstrecke, umarmen sie und stecken unter einer Schiene ihre Arme von beiden Seiten in ein Rohr. Mensch und hohles Metall verschmelzen zu einem Ringen und umschließen die Gleise. Finito. Die Polizei bekommt die Konstruktion nicht auf. Dass sich im Verlauf des Transports irgendwo Greenpeace-Aktivisten anketten, gehört dazu.

So mutig solche Aktion erscheinen, sie folgen einem festen Ablaufplan: Sobald sie entdeckt werden - in der Nacht zum Sonntag bei Lüneburg dauerte das nur 30 Sekunden - rückt die Polizei an. Dann ihre Techniker zum Loseisen, psychologisch geschulte Beamte, Polizei-Pressesprecher, Greenpeace-Pressesprecher, fast zeitgleich die von Greenpeace alarmierten Medien, Ärzte und Sanitäter - sowohl jene, die zur Polizei gehören, als auch jene, die die Aktivisten selbst organisiert haben - und auch die Seelsorger kommen entsprechend in doppelter Besetzung.

Die eine Seite des Protests ist eben diese Routine im Ablauf. Man kann sich auch eine Karte des Wendlandes hinlegen, die Castorstrecke in Abschnitte einteilen und weiß: da Blockaden, hier "Schotterer". Sie versuchen, den Schotter zwischen den Schienen wegzuräumen, daher der Name. Ihr Selbstverständnis ist es, die Polizei nicht anzugreifen. Die Polizei kennt sie, verjagt sie relativ erbarmungslos mit Knüppeln und Pfefferspray, dabei gibt es die meisten Verletzten. Zwischendurch Langeweile für die Beamten. Samstagabend zum Beispiel, zwei große, blonde, Polizisten stehen auf den Gleisen, sind froh, jemanden zum Plaudern zu finden. Ihr Helm liegt auf dem Boden, als säßen sie drauf, wenns keiner sieht.

Es gab gerade Suppe für die Polizisten, auch sonst ginge es ihnen richtig gut. "Diesmal sind nicht nur die Demonstranten besser versorgt", sagt der eine. Im vergangenen Jahr bekamen die Polizisten keinen Nachschub, weil Bauern mit ihren Treckern die Zufahrtswege blockierten. "Ein langer Tag wird das aber", sagt der Jüngere der beiden. Auch die Toilettensituation sei besser als im vergangenen Jahr, sagt der andere. Die beiden stehen direkt an der Stelle: Nur wenige hundert Meter entfernt der beiden hat die Polizei ein Lager aufgebaut, mit Dixie-Klos und Versorgungswagen.

Ein bisschen Robin Hood

Ähnlich absehbar sind die Blockaden. Einer, der immer dabei ist, ist Frank Scheibner, 49 Jahre, von Beruf Tischler, seit 30 Jahren im Atomwiderstand. Er führt Samstagnachmittag einen Treck AktivistInnen über die Felder zu den Bahngleisen. Seine Gruppe ist eine von vielen. Um die Polizei zu verwirren, hat man sich aufgeteilt und strömt aus allen Himmelrichtungen zu einem Gleisabschnitt kurz hinter dem Dorf Harlingen.

Sie sind fast am Ziel: Es geht eine Böschung hinunter, dann kommt die Strecke. Die Polizei steht in schwarzer Montur im Unterholz, das Ganze sieht kurz aus wie bei Robin Hood. Da die uniformierten Männer des Sheriffs, dort der bunte Mopp Rebellen, jung und alt, statt mit Pfeil und Bogen mit Strohsäcken und Thermosflaschen bewaffnet. Scheibner sagt noch, die Polizei hier wisse: Wer hier aufkreuzt, der schottert nicht. Also werden sie auch keinen Knüppel ziehen.

Dann zieht er mit den anderen in die Schlacht und läuft ruhig auf die nervösen Polizisten zu: "Für uns ist wichtig, dass sie wissen, sie müssen von uns nichts befürchten", sagt er zu einem Behelmten. Sie diskutieren über Grundrechte, dann drängt sich Scheibner zwischen die Beamten, man schiebt sich kurz wie zwei zankende Hirsche, dann sagt der Kollege, Funkstöpsel im Ohr: "Wir sollen sie durchlassen." Minuten später besetzen die Blockierer die Schienen.

Dann sitzt Scheibner auf den Gleisen, auch die Tochter hat es in die Blockade geschafft, er mampft eine Orange und erzählt, wie gut sich die Aktionsformen ergänzen. "Manchmal wird das hier als Volksfest, Schnitzeljagd oder Karneval tituliert. Das ärgert mich", sagt er. Routine? Von Routine könne keine Rede sein. Jeder Castortransport sei anders. "Den Leuten, die schon lange dabei sind, hängt das zum Hals raus. Weil das jedes Mal richtig, richtig viel Arbeit ist", sagt er. Man demonstriere der Sache wegen: Gorleben, das sie als Endlager verhindern wollen, die Atomwirtschaft, die trotz Ausstieg immer noch Geschäfte mit der Strahlenwirtschaft macht.

Katastrophe in Japan plötzlich greifbar

Und in diesem Jahr ist ein Grund hinzugekommen: Fukushima. Es gibt Momente, da ist die Katastrophe in Japan plötzlich greifbar. In Dannenberg ist am Samstag Großkundgebung, auf der Bühne spricht die alleinerziehende Kanako Nishikata, die in Fukushima gewohnt hat. Tausende AtomkraftgegnerInnen werden auf einmal still. "Ich hatte ein einfaches, aber schönes Leben", sagt Nishikata, ihre Stimme tränenerstickt. "Bis zum 11. März. Die Katastrophe hat alles geändert." Sie fühle sich wütend, weil sie ihre Kinder nicht schützen konnte, übersetzt eine Dolmetscherin.

In der Kundgebung steht auch Akiko Yoshida, gehüllt in einen schwarzen Mantel. Der BUND hat die 30-jährige japanische Umweltaktivistin eingeladen zu einer Vortragsreihe. Yoshida ist begeistert von den Massen im Wendland. Kopieren werden sie den Protest in Japan aber nicht, sondern ihren eigenen Widerstand entwickeln.

Aber längst wachse auch die Bewegung in Japan, sagt Yoshida. Sie erzählt, wie sie mit 60.000 Atomkraftgegnern Ende September in Tokio demonstrierte. Ihr Verband "Friends of the Earth" zähle schon 500 Mitglieder, 80 Prozent der Japaner seien für einen Ausstieg. Für Yoshida ist das nur eine Front, die zweite sei eine sichere Evakuierungspolitik in Fukushima. "Unsere Kinder müssen wirklich vor der Strahlung geschützt werden." Es ist ein anderer Kampf, den Yoshida führt. Ein existenzieller.

Essen aus der selbst organisierten Küche

In der Blockade in Harlingen nimmt alles seinen gewohnten Gang. "Die traditionellen Veranstaltungen wie die Sitzblockade in Harlingen bereiten keine Probleme", sagt ein Polizeisprecher. Und spricht dann von Angriffen auf die Polizei. Auch das ist trauriger Teil der Castorproteste: Autonome, die mit Steinschleudern auf die Polizei schießen und Einsatzfahrzeuge anzünden, und ein Beamter, der ein vielleicht 14-jähriges Mädchen grundlos ins Gleisbett stößt, in dem bereits hunderte Blockierer sitzen.

In der Nacht zum Sonntag werden die AktivistInnen erst vorzüglich mit Essen aus ihrer selbst organisierten Volxküche versorgt, später räumt sie die Polizei. Einige gehen freiwillig, einige weigern sich, lassen sich wegtragen und müssen am Sonntag stundenlang auf einem Acker ausharren, auf dem die Polizei einen Kreis aus Mannschaftswagen aufgestellt hat, als provisorisches Gefängnis. In der Nähe ketten sich Bauern an die Schienen, direkt vor dem Zwischenlager beginnen die ersten Sitzblockaden.

Die Greenpeace-Aktivisten haben fünfeinhalb Stunden ausgeharrt. Die Polizei musste einige Meter weiter weg die Gleise aufflexen, mit einem Kran anheben und den Mensch-Rohr-Ring von der Schiene abstreifen. Die Aktivisten sind ohne Gewaltanwendung befreit, haben ihren Erfolg gehabt und ihre Botschaft platziert. Ziel erreicht. Journalisten haben ihre Bilder im Kasten, die Ärzte, Anwälte und Pfarrer ihren Dienst getan und ziehen weiter zur nächsten Aktion.

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