Rot-schwarze Koalitionsvereinbarung: Das hat Berlin nicht verdient

Rot-Schwarz wird nicht so schlimm? Pustekuchen! Nach den Verhandlungen zu Verkehr und Stadtentwicklung ist klar, welche Grausamkeiten auf die Stadt zukommen.

Das ist ihrer Hände Werk: die Chefs von Rot-Schwarz Frank Henkel (CDU) und Klaus Wowereit. Bild: dapd

Teure neue Wohnungen

Wir haben verstanden: Das war das Signal von SPD und CDU an die Protestierer, die sich zu Beginn der achten Runde der Koalitionsverhandlungen am Dienstagmorgen im Foyer des Roten Rathauses versammelt hatten. Die Mieterinnen und Mieter hatten beiden Parteien ein Dossier übergeben, das vom alltäglichen Wahnsinn einer immer teureren Mieterstadt erzählt.

Nach Ende der Verhandlungen zum Thema Wohnen und Bauen am Mittwochabend muss man sagen: Rot-Schwarz hat nicht verstanden. Mehr als KleinKlein kam nicht heraus. Im Gegenteil: Manche Beschlüsse könnten die Preistreiberei auf dem Wohnungsmarkt sogar beschleunigen. Beispiel landeseigene Wohnungsbaugesellschaften: Sie sollen Wohnungen für Bedürftige auch unterhalb des Mietsspiegelwerts anbieten. Klingt gut, nur: Im Gegenzug sollen sie eben auch Wohnungen an Besserverdienende weitaus teurer vermieten dürfen, als es der Mietspiegel bislang erlaubt. Die Vereinbarung zwischen SPD und CDU könnte ein Freibrief sein für die landeseigenen Gesellschaften, mehr noch als bisher nach eigenem Gusto zu verfahren. Dort, wo Wohnungen ohnehin schwer vermietbar sind - etwa im Norden Marzahns -, werden sie etwas runtergehen mit den Preisen. In den Innenstadtbezirken könnte dagegen eine neue Preisspirale angeheizt werden.

Beispiel Wohnungsbau: Hier will Rot-Schwarz 30.000 Wohnungen bauen. Dafür soll die öffentliche Hand Grundstücke bereitstellen, das Baurecht entschlacken, den Denkmalschutz liberalisieren. Tatsächlich wird keine dieser Wohnungen günstiger werden als 8,50 Euro pro Quadratmeter plus Nebenkosten. Immerhin: Das Quartiersmanagement bleibt. Logisch: Wer mehr Not sät, wird auch mehr Notstandspolitik betreiben müssen.

Die Bagger kommen

Geht es nach SPD und CDU, startet der Weiterbau der Autobahn A 100 zwischen Neukölln und der Elsenbrücke in Treptow schon 2012, Bauende: 2018. Das bekundeten Vertreter beider Parteien nach der jüngsten Verhandlungsrunde. Voraussetzung dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht bis dahin Klagen gegen den Weiterbau abgelehnt hat. Auch der Weiterbau von der Elsenbrücke bis zur Frankfurter Allee soll im Koalitionsvertrag stehen. Hier ist die SPD zurückhaltender als die CDU.

Der Streit über den 3,2 Kilometer langen Weiterbau der A 100 zwischen dem Autobahndreieck Neukölln und Treptow, den sogenannten 16. Bauabschnitt, hatte die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen platzen lassen. Die Christdemokraten hingegen haben kein Problem mit dem Weiterbau. Sie drängten sogar erfolgreich darauf, den folgenden 17. Bauabschnitt als "politisches Planziel" in den Vertrag aufzunehmen. Die Union vertritt im Kern die Auffassung, dass der Weiterbau ab Neukölln nur dann Sinn macht, wenn man den Autobahn-Stadtring komplett schließt. Die SPD-Seite schränkte ein, es gehe nur darum, sicherzustellen, dass der Bauabschnitt nicht aus dem Bundesverkehrswegeplan verschwindet.

Einigkeit erzielten beide Parteien auch beim zweiten großen Straßenbauprojekt, der "Tangentialen Verbindung Ost", kurz TVO. Dahinter verbirgt sich die Idee einer kreuzungsfreien Schnellstraße, die die östlichen und südöstlichen Bezirke mit dem Berliner Ring im Norden und der A 113 im Süden verbinden soll. Ihr grundsätzlicher Verlauf wurde bereits 1969 im "Generalverkehrsplan der Hauptstadt der DDR" festgelegt. Ein Mittelstück zwischen Wuhlheide und Biesdorf soll nun vierspurig entstehen. Wo genau, ist offen.

Baut zu! Baut zu!

Als Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vor zwei Jahren ihre Entwürfe für das Rathausforum vorstellte, gab es Gegenwind nicht nur von der CDU. Auch Kulturstaatssekretär André Schmitz lehnte die Weiterentwicklung des Areals zwischen Spree und Fernsehturm als Freiraum ab. Seitdem standen sich zwei Fraktionen nahezu unversöhnlich gegenüber: Die einen wollen an dieser Stelle wieder die mittelalterliche Stadt aufleben lassen, die anderen einen wichtigen Freiraum erhalten und verschönern.

Beim Rathausforum hat die Retrofraktion, zu der auch der Regierende Bürgermeister gehört, nun einen Teilsieg errungen. "Wir wollen in einem städtebaulichen Wettbewerb herausfinden, wie sich das Areal entwickeln kann", sagte SPD-Verhandlungsführer Christian Gaebler am Mittwochabend. Hätte es einen Freiraumwettbewerb gegeben, wäre der Punkt an Regula Lüscher und die moderne SPD gegangen. Ein städtebaulicher Wettbewerb wird dagegen eine Bebauung zum Ergebnis haben. Vorwärts in die Vergangenheit - die SPD machts möglich.

Eine weitere Weichenstellung gab es für das Tempelhofer Feld. Die Internationale Bauausstellung IBA 2020 soll nicht mehr, wie geplant, auf dem Exflughafen stattfinden. Vielmehr soll sie, so Gaebler und sein CDU-Kollege Bernd Krömer, unter dem Motto "Wissen, Wirtschaft und Wohnen" über die ganze Stadt verteilt stattfinden. Eine Prioritätensetzung in Richtung Wirtschaft also, die sich vor allem auf dem Gelände des dann stillgelegten Flughafens Tegel präsentieren soll. Aber auch auf das Tempelhofer Flugfeld könnte der wirtschaftliche Druck zunehmen, da hier mit der Landesbibliothek bereits der Leuchtturm des IBA-Themas "Wissen" entstehen soll. Gut möglich, dass der Park deutlich kleiner ausfällt als geplant.

Idyll Westberlin

Der Bahnhof Zoo soll wieder Fernbahnhof werden, wird im Koalitionsvertrag als Ziel der künftigen rot-schwarzen Regierung stehen. Da aber weder die Parteizentralen von SPD und CDU noch die Senatsverwaltung für Verkehr die Fahrpläne der Deutschen Bahn festlegen, beschränkt sich dieses Ziel auf eine reine Absichtserklärung. Dafür eingesetzt hatte sich die CDU, während die SPD die Angelegenheit eher leidenschaftslos betrachtet. "Mehr als ein Appell an die Deutsche Bahn ist da nicht möglich", sagte der taz Christian Gaebler, der SPD-Verhandlungsführer für den Bereich Verkehr und Stadtentwicklung.

Am Bahnhof Zoo in der City-West halten seit 2006 nur noch Regionalzüge und S-Bahnen. Der Rang als Fernbahnhof, von dem der (West-)Berliner über 100 Jahre die weite Welt aufbricht, ist seither weg. Widerstand einer Bürgerinitiative hatte keinen Erfolg.

Die Degradierung entsprang allerdings nicht der Willkür der Deutschen Bahn, sondern deren Bahnhofskonzept für Berlin. Das sah und sieht einen Hauptbahnhof in der Stadtmitte und je einen vorgelagerten Halt in jeder Himmelsrichtung vor: im Westen Spandau, im Norden Gesundbrunnen sowie Südkreuz und Ostbahnhof. Ein zweiter Halt im Westen der Stadt am Zoo, gerade mal drei S-Bahn-Stationen vom Hauptbahnhof entfernt, läuft diesem Konzept gänzlich zuwider.

Das kratzte die CDU wenig - sie hielt an ihrer Forderung fest. Ihr Generalsekretär Bernd Krömer lastete es zudem dem bisherigen rot-roten Senat an, dass der Bahnhof Zoo abgestuft wurde. Diesen Fehler der Vorgängerregierung wolle man korrigieren, sagte er. SPD-Kollege Gaebler vermochte hingegen nicht nachvollziehen, wie und wo Rot-Rot dafür verantwortlich war.

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