Kaserne wird Stadtteil: Kinderfest auf dem Exerzierplatz

Viele Orte im Norden beklagen den Abzug der Bundeswehr. Dabei eröffnet der viele Möglichkeiten, Neues zu wagen, wo über Jahrzehnte alles festgelegt schien. In Stade zum Beispiel ist aus einer ehemaligen Kaserne ein neuer Stadtteil entstanden.

Neues Leben in alten Klinkerbauten: 2.000 Bewohner hat Ottenbeck. Bild: Alexander Kohn

HAMBURG taz | Balkone und Gärten durchbrechen die symmetrische Anordnung der früheren Mannschaftsunterkünfte, breite Alleen mit alten Bäumen verleihen Weite: Nachdem die Bundeswehr vor 17 Jahren die Von-Goeben-Kaserne aufgegeben hat, sind vor allem junge Leute in die alten Klinkerbauten gezogen. Außenrum wurden Einfamilienhäuser gebaut, auf einer Weide grasen Galloway-Rinder. Gut 2.000 Menschen leben in Ottenbeck, wie der neue Vorort von Stade heißt. Kindergärten und eine Waldorfschule gibt es hier, ein Café und eine Tanzschule.

"Der Rasen des Exerzierplatzes war heilig", sagt Britta, die in einem Labor im ehemaligen Offizierskasino Pflanzenschutzmittel testet. "Das Gras wurde auf den Millimeter gestutzt und außer bei Paraden durfte da niemand drauf." Heute tollen dort die Hunde, sagt Brittas Kollegin Eva. Einmal im Jahr wird die große Wiese gemäht, dann gibt es ein Fest für die vielen Kinder, die hier leben. Zwei Jungs rollen auf Skateboards vorbei und versuchen Tricks an einer Bordsteinkante. Dann streunen sie weiter, vorbei am klotzförmigen Trafo-Häuschen, das nun eine Kneipe ist. Jetzt, am frühen Abend, sind dort nur einige flackernde Kürbisfratzen zu Gast.

In der ehemaligen Krankenstation der Kaserne hat die Stadt Stade vor einigen Jahren ein "Gründungs- und Innovationszentrum" eingerichtet, das Existenzgründer mit günstigen Büromieten nach Ottenbeck locken sollte. "Schon bald wurde es zu eng", sagt Karen Ulferts, die für das Zentrum arbeitet. 2005 zogen sie in eine leer stehende Mannschaftsunterkunft - wo früher Wehrdienstleistende einquartiert waren, teilen sich nun gut 30 Gründer Besprechungsräume, Laptops, Kopierer und Faxgeräte. "Einige arbeiten allein in 13,5 Quadratmeter großen Büros, andere mit Partnern oder ersten Mitarbeitern in größeren Räumen", sagt Ulferts. Wenn ein Startup gut anläuft und mehr Platz braucht, muss es ausziehen - so wie jene Computerspielfirma, die mittlerweile 160 Mitarbeiter beschäftigt. In Hamburg.

Durchs Fenster sind zwei große Grashügel zu sehen: alte Bunker, in denen heute Bands proben. "Das sind die sichersten Büros, die es gibt", scherzt der städtische Wirtschaftsförderer Thomas Friedrichs. "Dass die Kaserne dicht gemacht wird, wollten die Menschen hier am Anfang gar nicht verstehen", sagt er. Rund 1.500 Arbeitsplätze gingen dadurch in der Region verloren, die meisten davon zivil.

Mit dem dicken Filzstift wurde geplant, in welchen Kasernengebäuden gewohnt werden könnte, wo ein Spielplatz gebaut werden soll. "Einst waren hier Pioniere stationiert", sagt Friedrichs. Dann hätten die freien Flächen plötzlich Pionieren auf anderen Gebieten neue Möglichkeiten gegeben.

Zum Beispiel den Leuten von der Öko-Siedlung: Zwischen gelben, roten und grünen Holzhäusern liegt eine Gemeinschaftswiese. "Gartenzäune gibt es hier nicht", sagt Bauoberrat Nils Jacobs, der selbst hier wohnt. Zusammen mit rund zehn weiteren Familien hat er neben den Kasernengebäuden eine Nachbarschaft mit begrünten Garagendächern aufgebaut. Weil die Kaserne so groß war, habe sich kein Investor gefunden, der das gesamte Gelände kaufen wollte. Das sei eine große Chance für Stadtentwickler gewesen. "In fünfzehn Jahren ist hier ein kompletter Stadtteil entstanden", sagt Jacobs. Die Öko-Siedlung hat ihr eigenes Blockheizkraftwerk, das Strom aus Gas erzeugt. Mit der Abwärme wird geheizt.

Einige Straßen weiter sind auf dem Dach eines ehemaligen Kasernengebäudes zahlreiche Sonnenkollektoren angebracht, im Erdgeschoss ist ein Café. Nara hilft hier nach der Schule aus, gerade fegt sie das Laub zwischen Bistrotischen zusammen. Nebenan werden Haare geschnitten und blondiert. "Mein Onkel war hier früher stationiert", erzählt Nara, "er erkennt hier kaum noch etwas wieder." Traurig ist sie darüber nicht: "Militär ist nicht so mein Ding."

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