Neues Album von Lou Reed und Metallica : Gipfeltreffen der Alphamänner

Lou Reed vertont mit Metallica Songs, die er für eine Theater-Inszenierung geschrieben hat. "Lulu" stellt Kunststrebertum neben Männerschweiß.

Ihre Furchen tragen sie mit Stolz: Lou Reed und Metallica. Bild: Anton Corbijn

Warum schreibt eigentlich keine Frau über diese Platte? Das ist eine von den Grundsatzfragen, die immer auftauchen, wenn Grundsatzplatten gemacht werden, Lackmustestplatten zum Stand der Dinge, Alben, die sich schon Monate vor ihrem Erscheinen mit stetig anschwellenden Bocksgesängen ankündigen. Meilenstein, Legende, Gipfeltreffen, Opus Magnum usw.

Die Frauenfrage ist wohlfeil und anbiedernd, klar. Aber man wüsste doch gern, warum nur Männer den Wert dieser Männerrockplatte taxieren. Weil keine Frau das kann? Oder weil keine Frau so genau wissen will, was Lou Reed und Metallica mit Lulu, der heiligen Hure, am Hut haben? Oder sonst wo am Körper.

Haben Frauen weniger Geduld? Eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne? Schaffen sie es nicht, eine Stunde Metallica-Bratzen und Reed-Röcheln durchzustehen, um endlich bei "Junior Dad" anzukommen?

Im Zwanzig-Minuten-Finale wächst zusammen, was vorher teilnahmslos in Parallelspuren läuft: Metallica bratzen, Reed röchelt. Bei "Junior Dad" croont er leidlich zu einer Viola, als wolle er zurück zu den shiny boots of leather von Sacher-Masochs "Venus im Pelz". Aber nein, die Viola streicht kein John Cale, "Junior Dad" ist kein "Venus in furs", wir sind ja nicht bei Velvet Underground. Wir sind bei Lulu, Wedekinds Wunschkindfrau, an der Männer verbrennen wie Motten an der Glühbirne.

Er ließ sie reden

Die Songs hatte Reed eigentlich für Robert Wilsons "Lulu"-Inszenierung am Berliner Ensemble geschrieben, Alphatiere unter sich. Jetzt schlüpft der bald 70-Jährige in die Rolle von Lulu, eine eigenwillige Übung in Rollenprosa von einem der originellsten Frauenfigurenerfinder der Rockmusik, originell auch, weil er sich selten Mühe gab, seine misogynen Züge zu verbergen.

Er ließ sie reden und gab ihnen Leben: Caroline says, Stephanie says, Candy says, Lisa says, dazu Venus im Pelz, Femme fatale und die Schönheit mit den blassen blauen Augen: Sie hielt er für seinen Berggipfel, für seinen Höhepunkt, für alles, was er hatte, aber nicht halten konnte, linger on, you pale blue eyes.

Gegen diese Frauen hat es Lulu schwer, ein Rockschicksal. Gleich im ersten Song passiert Lulu Reed das Brandenburger Tor, Schlimmeres hätte ihr kaum passieren könne. Sie landet in der guten alten Berliner Expressionistenhölle, da warten schon die einschlägigen Quartalsirren: Boris Karloff, Klaus Kinski, Peter Lorre, Nosferatu.

Titten und Beine würde Lulu sich abschneiden beim bloßen Gedanken an Karloff und Kinski, verkündet Reed im ersten Satz, leicht asthmatisch. Es nicht das letzte Mal, dass man an Helmut Schmidt denken muss. "Brandenburg Gate" heißt der Song und ja, danke für den Hinweis, Berlin war auch mal ein Lou-Reed-Album, kein schlechtes.

Ein Bruder des späten Gaddafi

Brandenburger Tor, Berliner Ensemble, Robert Wilson, Doppel-CD im Jewelcase, 4-fach LP-Vinyl-Box (180g) in Double-Gatefold, limitierte Deluxe Edition in durchsichtigem Plastikschuber, darin ein Buch mit Fotos von Anton Corbijn, ein zweites Buch mit dem Album auf zwei CDs plus Songtexte. Gespart werden muss hier nicht.

Corbijn überzieht die sonnenbrillenbewehrten Men in Black mit seinem Trademark-Mattgrauschleier, das hat schon bei Bono und Grönemeyer geholfen. Seine Furchen trägt Reed mit Stolz, auf dem Kopf eine Kreuzung aus Vokuhila und Alters-Afro, dazu eine Metal-Halskette, mit der man die Queen Elizabeth festmachen könnte, verwegen verwahrlost, ein Bruder des späten Gaddafi. Hier werden keine Gefangenen gemacht, sagen die Fotos, die Platte bestätigt das.

Man will in Deckung gehen vor dem hochkomprimierten Panzersound, vor dem Weimarer-Dekadenz-Overkill, vor dem Kunststrebertum, vor dem Männerschweiß der Elefantenhochzeit. Nach zehn Minuten ist man geschlaucht wie nach acht Stunden Schach & Rauch mit Schmidt & Steinbrück. Heavy.

Lou Reed: "Metallica sind genau auf demjenigen Planeten beheimatet, um den es mir in diesem Fall ging. Dann spielten wir zusammen, und schon wusste ich: Mein Traum war in Erfüllung gegangen. Das Album ist das Beste, was ich jemals verzapft habe … Das ist die größte Sache, die ich jemals gemacht habe, aufgenommen mit den besten Typen, die man dafür auftreiben kann." Hat er Alzheimer?

James Hetfield, der grölende Dunkelmann von Metallica, hat vielleicht zu viel Metallica gehört: "Wir müssen einfach alle erkennen und uns klarmachen, wie unfassbar genial das hier ist." Das dezente Eigenlob stammt aus dem acht Seiten starken Presseinfo eines anonymen Autors, auch dafür musste nicht gespart werden: "Lou Reed, James Hetfield und Lars Ulrich haben mir gegenüber in einer Suite im Londoner Claridges Hotel Platz genommen. Alle drei brennen darauf, ihre Begeisterung für dieses Projekt zu artikulieren, das merkt man auch daran, wie sie sich immer wieder gegenseitig die Bälle und Komplimente zuspielen."

Gespreizt hoher Ton

Es lohnt sich, die Waschzettelprosa genauer zu lesen, sie spiegelt gewissermaßen kongenial die Überwältigungsästhetik des ganzen Projekts und wirft ein interessantes Licht auf das Verhältnis von Pop und Popkritik. "90 Minuten Klangkunst - kompromisslos, ungefiltert, unverfälscht, verstörend und dabei doch erbaulich: die Art von LP, die unser Verständnis von Rockmusik neu definieren kann und wird." Den gespreizt hohen Ton kennt man aus Spex seit der Machtübernahme des inzwischen abgelösten Chefredakteurs Max Dax. Mit Pathosformeln und heiligem Ernst wird die Nobilitierung von Popmusik betrieben, wird "Lulu" in die Walhalla der Meisterwerke hochgeschrieben.

Der flapsige, erratische, gonzoide, dabei aber nicht uninformierte Sound der Popkritik hat unterdessen nicht ganz so paradoxerweise beim großbürgerlichen Feuilleton einen Platz gefunden. Dort, in der altehrwürdigen FAZ, finden wir die lustigste "Lulu"-Kritik und die einzige, die hinter der ganzen verstörenden Klangkunst entdeckt, dass dieses Album stellenweise tatsächlich auch so was Profanes wie Witz hat.

Oder soll man nicht lachen, wenn Reed sein Mantra röchelt: "Frustration is my lexicon of hate"? Als "wärmste Kuschelrockplatte aller Zeiten" wird "Lulu" da bezeichnet, aber: "Das ist als Kompliment gedacht, auch wenn Millionen Amazon-Rezensentenzyniker es nicht einsehen werden." Der das schreibt, ist Dietmar Dath, Dax-Vorgänger im Spex-Chefsessel und gerade wieder zur FAZ zurückgekehrt.

Tatsächlich haben inzwischen Millionen Amazon-Rezensentenzyniker und YouTube-Gucker den Dislike-Button geklickt, was Dath natürlich erst recht einnimmt für die arme "Lulu". Als alter Metaller begeistert er sich für die Gitarrenarbeiter "mit besonders haarig starkstromgeladenen Pratzen", Reeds Lyrik kommt weniger gut weg: "kryptoreligiöser Krampf".

Das zu lesen macht mehr Spaß als der kryptoreligiöse Erbauungsquark der Pop-Verernstungsfraktion, allerdings waren Dath-Texte über Musik schon (fast) immer lustiger als die Musik, über die er schrieb. Schreibt er nicht überhaupt für Leute, die lieber Bücher lesen als Pop hören, und ist er nicht auch deshalb der richtige Hofnarr-Marxist im FAZ-Zoo?

"Lulu" wird am Ende immer besser, das Finale ist sogar was für Frauen. Würden Männer sagen.

Lou Reed & Metallica: "Lulu" (Warner)

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