Arbeitsmoral im EU-Parlament: Politiker schwänzen Europa

Es ist nicht Neues, dass Silvana Koch-Mehrin nicht gerade zu den fleißigsten Europa-Politikern zählt. Sie ist ein Beispiel schlechter Arbeitsmoral - eins von vielen.

Lieber schön als fleißig. Bild: dapd

BRÜSSEL taz | Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin ist nicht die einzige deutsche Abgeordnete im Europäischen Parlament, die es nicht so genau nimmt mit der Arbeitsmoral. Der CSU-Mann Bernd Posselt schwänzt fast genauso viele Ausschusssitzungen wie seine liberale Kollegin: Seit Anfang des Jahres war er bei nur vier Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses in Brüssel. 14 Mal hat er gefehlt.

"Das hat nichts mit meiner Arbeitsmoral zu tun. Ich bin bei allen wichtigen Abstimmungen da. Aber wenn irgendein stellvertretender Außenminister aus einem Land zu Besuch ist, dann bin ich lieber bei meinen Wählern zu Hause, als mir das anzuhören", verteidigt sich Posselt.

Bei den meisten Treffen während der Plenarwochen in Straßburg war er da – vier Mal in den vergangenen neun Monaten. Aber Brüssel boykottiert der Bayer. Sogar sein Büro dort steht leer. Seine Assistentin arbeitet ausschließlich in München und fährt nur nach Straßburg mit. Unter der Brüsseler Nummer des Abgeordneten ertönt 24 Stunden am Tag einfach ein Belegtzeichen. "Das entspricht meiner politischen Haltung: Das Europäische Parlament braucht ein eigenes Gesicht und sollte nicht im Schatten von Kommission, Rat oder der NATO stehen wie in Brüssel", sagt Posselt.

Für den grünen Abgeordneten Sven Giegold ist die Vorliebe für Straßburg keine Entschuldigung, in Brüssel zu fehlen: "Die eigentliche Arbeit findet in Brüssel statt. Wer effektiv inhaltlich arbeiten will, muss mit den Akteuren in der Kommission und im Rat reden. Die trifft man aber in Brüssel, nicht in Straßburg."

"Ich bin lieber bei meinen Wählern"

Das sieht Posselt anders. Ihm reicht es, wenn er die Kommissare hin und wieder in Straßburg trifft. Die übrige Zeit verbringt er lieber zu Hause. "Ich wohne nicht in Brüssel wie Sylvana Koch-Mehrin. Ich bin bei meinen Wählern", sagt er.

Sylvana Koch-Mehrin kommt trotz ihres Wohnortes nicht zu den Ausschusssitzungen: Sie war - nach ARD-Recherchen - seit zwei Jahren bei keiner einzigen Ausschusssitzung. Ihre Entschuldigung, sie habe als Vize-Präsidentin des Parlaments viele andere Termine, lassen ihre Kollegen nicht gelten.

Andere Beispiele zeigen, dass es trotzdem geht: Die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Berendt ist ebenfalls Vize-Präsidentin, aber sie nimmt nicht nur an den meisten Ausschusssitzungen teil, sondern übernimmt auch regelmäßig Verantwortung für Gesetzgebungsverfahren, was zusätzlichen Arbeitsaufwand mit sich bringt.

Mandatsentzug rechtlich nicht möglich

Viele Abgeordnete fordern hinter vorgehaltener Hand, dass Koch-Mehrin ihr Mandat endlich niederlegt. Zwingen kann sie dazu niemand – auch nicht die Bundes-FDP in Berlin. Ein Mandatsentzug sei rechtlich nicht möglich, heißt es von dort.

Abgesehen von diesen Einzelfällen gehören die deutschen Abgeordneten zu den Fleißigen in Brüssel. Im Wirtschafts- und Währungsausschuss, der gerade jetzt in der Eurokrise besonderes viele Entscheidungen treffen, sind die deutschen Mitglieder fast immer dabei - fraktionsübergreifend.

Tagegeld von 304 Euro

Bei den französischen Konservativen sieht das anders aus: Rachida Dati, die im gleichen Ausschuss wie Sven Giegold sitzt, war seit Anfang des Jahres gerade mal bei 5 von 25 Ausschusstreffen – trotz Eurokrise. Im Plenum hat sie sich das letzte Mal im Oktober 2010 zu Wort gemeldet. Die ehemalige Justizministerin war von Präsident Nicolas Sarkozy nach Brüssel weggelobt worden. Er konnte sie in Paris nicht mehr brauchen. Ihre Liebe zu Europa hat Dati offenbar noch nicht entdeckt. Sie bleibt lieber in Paris und kümmert sich dort als Bürgermeisterin eines Stadtteils um Lokalpolitik.

Diese Einstellung haben einige Abgeordnete – vor allem aus Frankreich und Italien, wo solche Doppelmandate durchaus üblich sind. Sanktionen gibt es für solche Fälle nicht. Die Abgeordneten müssen sich zwar im Plenum und in den Ausschüssen in Anwesenheitslisten eintragen. Aber überprüft werden die nicht. Wer einmal am Tag auf der Liste vor dem Plenarsaal unterschrieben hat, bekommt sein Tagegeld von 304 Euro. Das wird nur gekürzt, falls ein Abgeordneter bei der Hälfte der namentlichen Abstimmungen, die an diesem Tag stattfinden, nicht anwesend ist. Dann bekommt er nur die Hälfte ausgezahlt.

Strafen seien auch nicht notwendig, sagt der CSU-Mann Markus Ferber. Denn zu allererst leide der betroffene Abgeordnete selbst unter den Folgen seiner Fehlstunden: „Wer sich in diesem hochspezialisierten Parlament nicht mit seiner Arbeit in den Ausschüssen befasst, der hat inhaltlich nichts zu melden und schon gar keinen Einfluss.“

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