Grafiker, Dichter und gewaltige Trinker

DRUCKKUNST In den 60ern waren sie umschwärmt wie kleine Popstars – für die Grafiker der Werkstatt Rixdorfer Drucke machte erst die Dichtung ihre Bilder zu einem Ganzen. Eine Ausstellung blickt nicht nur zurück

Zum 50-jährigen Bestehen der Werkstatt Rixdorfer Drucke zeigt eine Schau im Haus am Lützow – dort, wo die Rixdorfer einst ihre erste große Ausstellung hatten – das Oeuvre der einstigen Berliner Hinterhofkompagnie. Respektlos und witzig, zeitkritisch und provokant, vor allem aber äußerst poetisch fühlten die Rixdorfer dem politischen und kulturellen Leben Deutschlands auf den Zahn.

■ 50 Jahre Werkstatt Rixdorfer Drucke: Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 31. März, Dienstags bis Samstags von 11–18 Uhr

VON JÖRG SUNDERMEIER

1966 berichtete der Spiegel erstaunt über die Karriere von „fünf Bohemiens, die lieber schluckten als druckten“. Es waren dies: „Uwe Bremer, 25, Günter Bruno Fuchs, 37, Ali Schindehütte, 26, Johannes Vennekamp, 30, Arno Waldschmidt, 29“. Zusammen bildeten sie die Werkstatt Rixdorfer Drucke, die damals bereits seit drei Jahren und mit wachsendem Erfolg existierte. Dies allerdings nie in Rixdorf, die Adresse der Druckwerkstatt war Oranienstraße 20 in Kreuzberg, man firmierte dort als „Hoflieferant“.

Zuvor war der schwärmerische Grafiker und Dichter und gewaltige Trinker Günter Bruno Fuchs, der 1977 allzu jung verstarb und dessen Werk dringend wiederentdeckt werden müsste, ein paar Häuser weiter in der „zinke Galerie“ tätig, die er gemeinsam mit Günter Anlauf und Robert Wolfgang Schnell in wenigen Jahren zu einem der einflussreichsten Westberliner Kulturzentren werden ließ. Doch Erfolg war Fuchs’ Sache nicht, daher zog er mit den wesentlich jüngeren Kollegen weiter, und 1970, als alle fünf inzwischen ebenfalls sehr erfolgreich waren, verließ der Gründervater die Werkstatt Rixdorfer Drucke – die verbliebenen vier machten weiter.

Die Werkstatt hatte mit alten, billig und gebraucht aufgekauften Druckmaschinen und Setzkästen begonnen. Der in Drucksachen erfahrene Fuchs prägte die Arbeitsweise der Rixdorfer, sie setzen den Holzstock für den Holzschnitt zugleich mit der auf derselben Ebene angesetzten Typografie ein, so entstand ein harmonisches Ganzes, Text und Bild flossen ineinander und bedingten sich gegenseitig.

Und das nicht ohne Grund – denn die Rixdorfer waren und sind „Die Druckwerkstatt der Dichter“, wie das soeben zum 50. Geburtstag der Werkstatt erschienene Buch treffend heißt (Die Andere Bibliothek, Berlin 2013, 448 Seiten, 79 €). Und in dem Buch heißt es, ebenso treffend über die 66 Autorinnen und Autoren, mit denen die Rixdorfer zusammengearbeitet haben, dass diese „die Dichter der Rixdorfer“ waren. Unter ihnen H. C. Artmann, Peter Bichsel, Elfriede Gerstl, Rolf Haufs, Sarah Kirsch, Uwe Kolbe, Oskar Pastior, Gerhard Rühm, Peter Rühmkorf, Johannes Schenk und Horst Tomayer. Die Experimentierenden hatten es den Rixdorfern angetan, denn schließlich experimentierten sie selbst. Humor war ebenfalls entscheidend – und ein bisschen Pop kam dazu.

1967 veröffentlichten sie als „Dr Carl Hansers ff Rixdorfer Tiegeldruckhandpressenbuecher“ den von Vennekamp, Waldschmidt, Schindehütte und Bremer illustrierten Beatles-Text „All you need is love“. 2003 folgte ein „Rixdorfer Bilderbogen“ zu dem Lied „Johnny Tannhaus“ von Udo Lindenberg. Ein Foto zeigt den Popstar mit den Künstlern, die alle vier als Solokünstler wie als Gemeinschaftsarbeiter inzwischen sehr begehrt, wenn auch nicht mehr so umschwärmt wie in den 60er und 70er Jahren, als sie selbst noch kleine Popstars waren.

Experiment und Humor waren entscheidend – ein bisschen Pop kam dazu

Schwanz auf Tanz

Dennoch blieben die Rixdorfer, deren Werkstatt 1974 aus dem umkämpften, aber auch muffiger werdenden Westberlin ins beschauliche wendländische Gümse verlegt wurde, „ihren Dichtern“ treu und diese blieben es ihnen. So veröffentlichte Reinhard Lettau 1993 unter dem Titel „Deutschland!“ herrliche „Ausrufe“ gegen Nationalismus. 2008 sinnierte der zu dem Zeitpunkt schon gegen den Krebs ankämpfende Peter O. Chotjewitz außerordentlich humorvoll darüber in „Was tun, wenn der Tod …“, und zum vergangenen Jahreswechsel schrieb Otto Jägersberg den Druckkünstlern und sich einen selbstironischen „Rixdorfer Totentanz“: „Totentanzreimer: Ich gab mein Bestes ganz / und reimte Schwanz auf Tanz / Tod: Heraus kam immer Firlefanz.“ Und Bremer, Schindehütte, Vennekamp und Waldschmitt machen selbstironisch mit, indem sie sich selbst etwa als Totentänzer porträtieren.

Das Haus am Lützowplatz präsentiert nun, 48 Jahre nach der ersten großen Ausstellung der Rixdorfer dort, deren Werk erneut, und diese Ausstellung ist mehr als eine Retrospektive, mehr als ein Rückblick auf ein untergegangenes Westberlin und auf eine Zeit, in der Dichtung und Kunst enger in eins gingen als heute. Es ist auch ein Ausblick – denn die Rixdorfer haben noch nicht ausgedruckt!