Terror im Theater: Der holden Kunst Guerilla

Kunst oder Politik - oder geht beides zugleich in der Oper? Tobias Kratzer bringt im Tannhäuser die Fragen auf die Bühne, die das Bremer Theater gerade jetzt wieder so spannend machen.

Entzückend sind die Wunder der WG - trotzdem muss Tannhäuser da jetzt raus. Bild: Landsberg

Ach, wie in der Sparkasse um die Ecke sieht es zur Ouvertüre auf der Bühne aus. Tannhäuser, Venus und ein Companero tänzeln als Spontitheatertruppe herein. Ihre auf Betttuch gepinselte Botschaft "Frei im Wollen! Frei im Thun! Frei im Genießen! R. W." heißt übersetzt: Hände hoch, Banküberfall! Schon greift die Polizei ein - und Tannhäuser erschießt im Angststress unabsichtlich eine Putzfrau.

Durch diese pantomimische Vorgeschichte entsteht ein Begründungszusammenhang, warum Tannhäuser anschließend die schäbige Dachstuben-WG seiner Venus verlässt: Wer sich um gerechtere Verteilung des Kapitals kümmert, muss mit Widerständen, mit Opfern rechnen, also Schuld auf sich laden. Von dieser Tragik verwundet kehrt Tannhäuser zu den Sängerkollegen zurück, die gerade Wagners Pilgerchor üben.

Da ist der Konflikt, um den es Tobias Kratzer zur Eröffnung der Bremer Opernsaison geht, auch weil er ihn in den Briefen Wagners aus der Entstehungszeit des Tannhäuser entdeckt hat. Hin und her gerissen von der Lust, die Menschen als Künstler zu erfreuen - oder sie als Barrikadenkämpfer mit sozialrevolutionärem Tun zu beglücken. Auf der Bremer Bühne wird Tannhäuser per Steckbrief gesucht - wie 1849 auch Wagner, nachdem er beim Dresdner Maiaufstand mitrevoluzzert hatte. Tannhäuser ist Wagner und auch irgendwie Andreas Baader, seine Venus eine Art Gudrun Ensslin.

Das mit der Kunstausübung ist im kapitalistischen Verwertungszusammenhang aber auch so eine Sache. Der Sängerwettstreit verkommt zur Werbeveranstaltung eines Sponsors, der bei Wagner noch Landgraf von Thüringen war, "der holden Kunst Beschützer". Darüber empört sich Tannhäuser genauso wie über seine Kollegen, die sich dem Geldgeber und dem Massengeschmack anbiedern. Nichts Neues unter dem DSDS-Himmel.

Unser Heldentenor bringt sich jedenfalls um alle Superstar-Chancen, singt statt wie gefordert von Liebe nur von Sex, wird vom Establishment fast gelyncht und muss zur Buße nach Rom. Der Papst verweigert Vergebung, alles endet auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Deutschland im Herbst, "Dämmrung deckt die Lande", GSG-9-Jungs schleichen heran, erschießen mit Venus und Elisabeth die Ex-Freundinnen von Tannhäuser.

Er selbst wird lebend festgenommen und wohl nach Stammheim entsorgt. Die christliche Gnadenwalze, die nun textlich alles unter sich begräbt, ist keine Erlösung, die sich auf Jenseitigkeit bezieht, sondern höchstens auf eine Sehnsucht danach, die den "Anbruch einer neuen Zeit" verkündet - wie Kratzer ins Programmheft schreibt und diesen so ernsthaft wie ironisch als Happy End inszeniert: Das Spaßguerilla-Kommando Tannhäuser entwaffnet alle zum friedlichen Miteinander.

Lächerlich, klar. Aber nur so wird deutlich, dass die Widersprüche des Tannhäuser zum Finale eben nicht ausgeräumt, sondern alle Fragen weiterhin offen sind. Kunst oder Widerstand - oder geht beides gleichzeitig auf der Theaterbühne?

Das Publikum meint Ja und Nein, buht und jubelt. Der Kritiker meint: Ein stimmiges Konzept, das die Musik und Wagners Intentionen nicht vergewaltigt, sondern mit erfrischender Selbstverständlichkeit eine mögliche Lesart anbietet. Diese entwickelt Kratzer klar, präzise und konsequent sowie mit Schauspiel-typischer Eloquenz, formt zudem fast alle Figuren zu psychologisch nachvollziehbaren Charakteren. Eine brillante Inszenierung, bei der glatt vergessen werden kann, dass mit nie vernebelnder Überwältigungsabsicht musiziert und größtenteils ansprechend gesungen wird.

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