Belgische Regierungsbildung: Durchbruch nach 15 Monaten

Wer hätte das für möglich gehalten? Im Streit um die belgische Regierungsbildung ist eine "erste entscheidende Etappe" erreicht worden. Der Dissenz über das Brüsseler Umland scheint beigelegt.

Lächelnd zum König: der sozialistische Politiker Elio Di Rupo. Bild: reuters

BRÜSSEL | taz Unglaublich, aber wahr: In Belgien rückt die Bildung einer neuen Regierung immer näher. Die Überraschungsnachricht kam über das Internetnetzwerk Twitter in der Nacht zum Donnerstag. "Wir haben eine erste entscheidende Etappe geschafft", schrieb die Sprecherin des sozialdemokratischen und frankophonen Verhandlungsführers Elio Di Rupo kurz vor Mitternacht. Wenig später folgte die offizielle Bestätigung: Die flämischen und frankophonen Parteien haben es nach 15 Monaten geschafft, sich auf einen ersten Kompromiss für die Staatsreform und die Regierungsbildung zu einigen.

Herzstück des Kompromisses ist die Teilung eines Wahlkreises rund um die belgische Hauptstadt. Er trägt den Namen Brüssel-Halle-Vilvoorde - kurz BHV - und hat in den vergangenen Jahren Dutzende belgische Politiker zum Verzweifeln gebracht. Im vergangenen Jahr war sogar die Regierung an den Auseinandersetzungen darüber zerbrochen.

BHV gilt als Symbol für das Kräftemessen zwischen frankophonen und flämischen Parteien. Deshalb bezeichnen belgische Medien und Politikwissenschaftler den Kompromiss als "historisch": "Bei BHV geht es um die Identität. Es war der Knackpunk. Ohne diesen Kompromiss wären wir in einer Sackgasse gelandet", sagt der Politologe Pascal Delwit von der Freien Universität Brüssel.

Worum es bei dem belgischen Wunder geht: Zu dem Wahlkreis BHV gehören neben der Hauptstadt Brüssel 35 weitere Gemeinden, die auf flämischem Gebiet liegen. Bisher galten dort Ausnahmeregeln für die frankophonen Bewohner. Sie durften bei Wahlen - wie die Brüsseler - nicht nur für flämische Parteien, sondern auch für frankophone Politiker stimmen. Sonst ist das in Belgien nicht möglich. Wählbar sind nur die Parteien der jeweiligen Sprachgruppe.

Diese Regelung war den Flamen ein Dorn im Auge. Sie versuchen seit Jahren den Wahlkreis zu teilen. Die Frankophonen haben dem nun zugestimmt. Künftig dürfen nur noch die Brüsseler aus zwei Listen wählen. Alle anderen werden dem flämischen Wahlrecht unterliegen.

Eine Ausnahme gibt es für sechs Gemeinden, in denen besonders viele Frankophone leben. Dort darf weiter "doppelt" gewählt werden. Außerdem behalten die Frankophonen in allen 35 Gemeinden das Recht, in Rechtsangelegenheiten ihre Muttersprache zu benutzen.

"Ein akzeptabler Kompromiss"

Als Gegenleistung für die Teilung des Wahlkreises haben die Frankophonen erreicht, dass die flämische Regionalregierung in Zukunft nicht mehr die Ernennung von gewählten frankophonen Bürgermeistern in flämischen Gemeinden blockieren kann. "Es ist ein akzeptabler Kompromiss für alle Seiten", sagt Politikwissenschaftler Delwit. Er sieht gute Chancen, dass sich die acht beteiligten Parteien bis Ende des Monats auf eine Regierungskoalition einigen und die noch offenen Punkte klären. Dazu gehören die künftige Finanzierung Brüssels und die Verteilung der Gesetzeskompetenzen zwischen der föderalen und den regionalen Regierungen.

Die flämischen Nationalisten von der N-VA waren von den Verhandlungen ausgeschlossen worden, nachdem sie immer wieder Kompromissvorschläge blockiert hatten. Sie kündigten Demonstrationen gegen die neue Koalition an: "Die flämischen Parteien haben ihre Hosen heruntergelassen - bis auf die Knöchel. Das können wir nicht hinnehmen", erklärte der Fraktionschef der N-VA, Jan Jambon. Ihr Einfluss wird aber - halten die acht Parteien zusammen - sehr begrenzt sein. Die Koalition, zu der Sozialdemokraten, Grüne, Liberale und Christdemokraten gehören, hält die Zweidrittelmehrheit. Das reicht, um die Reformen auf den Weg zu bringen.

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