Bremer Ausstellung über Autismus: Ausdruck einer Suche

Anhand von 24 erstmals in Norddeutschland präsentierten Positionen beleuchtet das Bremer Krankenhaus-Museum das Verhältnis von Autismus und Kunst.

Architektonische Landschaft: Ausschnitt einer Installation von Adolf Beutler. Bild: Museum

BREMEN taz | Autismus kommt in der Kunst nicht vor, in aller Regel jedenfalls. Kann er auch nicht, könnte man an dieser Stelle anfügen, denn das hieße ja, dass es so etwas wie autistische Kunst gibt. Und nicht nur Autisten, die Kunst machen. Oder umgekehrt: Künstler, die irgendwie auch Autisten sind. "Durchgang zum Vielleicht" heißt eine Bremer Ausstellung, die antritt, das Verhältnis zwischen den beiden zu untersuchen. Und erstmals in Norddeutschland aktuelle Positionen autistischer KünstlerInnen ausstellt.

Zu sehen ist sie im Krankenhaus-Museum auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Ost. Also gerade dort, wo der geschützte Bereich, in dem sich AutistInnen oft bewegen, in einen exponierten, einen öffentlichen Raum übergeht. 24 KünstlerInnen aus dem ganzen Bundesgebiet sind vertreten, eine kuratierte Auswahl aus mehr als 200 KünstlerInnen, die sich zusammen gefunden haben in der Initiative für Autismus, Kunst und Kultur (Akku).

Unter dem Titel "Ich sehe was, was du nicht siehst" waren sie im vergangenen Jahr allesamt auf einer groß angelegten Werkschau auf der "Documenta" in Kassel vertreten - also immerhin bei einer der bedeutendsten Reihen zeitgenössischer Kunst. Ansonsten aber finden AutistInnen typischerweise nicht in den klassischen Kunst- oder Ausstellungsbetrieb, bleibt ihr Werk, das oftmals zu Hause oder in irgendwelchen Werkstätten entsteht, vielfach unentdeckt, ihr Schaffen ungefördert.

Beim Autismus handelt es sich um eine Störung von Entwicklung und Informationsverarbeitung. Die Bezeichnung leitet sich vom griechischen Wort für "selbst" ab.

Die Ausprägung reicht von leichten, fast unauffälligen Verhaltensproblemen bis zur schweren geistigen Behinderung.

Unterschieden wird gemeinhin zwischen dem frühkindlichem Autismus - der in den ersten drei Lebensjahren beginnt und häufig durch geistige Behinderung und verminderte Intelligenz gekennzeichnet ist - und dem Asperger-Syndrom. Dieses geht meist nicht mit Entwicklungsrückstand in der Sprache und verminderter Intelligenz einher, dafür gelegentlich mit Insel- oder Hochbegabung.

Beiden Ausprägungen gemeinsam ist eine Störung des Sozialverhaltens, der Kommunikation und der Wahrnehmung: Autisten haben Probleme, Gesagtes richtig zu interpretieren, Mimik und Körpersprache einzusetzen und zu verstehen. Oft zeigen sie stereotype, ritualisierte Verhaltensweisen. Betroffene kapseln sich ab, haben Schwierigkeiten, Zeit einzuteilen, selbstständig zu handeln und flexibel auf Ereignisse zu reagieren. Jede Veränderung ihrer Umwelt erregt sie stark.

Ursache des derzeit nicht heilbaren Autismus ist vermutlich ein genetischer Defekt. Schätzungen zufolge leiden rund sechs von 1.000 Menschen an einer autistischen Verarbeitungsstörung. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen.

Von den nun in Bremen Ausstellenden hat denn auch nur eine einzige KünstlerIn einen klassischen kunstakademischen Hintergrund: Menia, eine Mönchengladbacherin, die erst sehr spät ihre Diagnose "Autismus" bekam, aber schon mehrfach in Einzelausstellungen zu sehen war. In ihren bisweilen verstörenden, großformatigen Ölgemälden geht es fast immer um den weiblichen Körper, und meistens um Mutterschaft und Sexualität, verbunden mit christlicher Symbolik. Aggressiv wendet sie sich gegen herrschende Frauenbilder, stets spielen dabei Blut und Verstümmelung eine tragende Rolle.

Vielfach widersetzt sich die hier ausgestellte Kunst deren klassischen Konditionen und Konventionen, gespeist sicherlich aus einer veränderten Wahrnehmung dessen, was wir Wirklichkeit nennen. "Kunst von autistischen Menschen ist selten an ein Publikum gerichtet", sagt Jan Hoet, Akku-Botschafter, künstlerischer Leiter der Documenta IX und Gründungsdirektor des Museums für zeitgenössische Kunst "Marta" im ostwestfälischen Herford. "Sie rückt sehr an an die Idee heran, die in Kunst vor allem den Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers sieht."

Ein Beispiel: Karita Guzik, die als Fotografin, aber auch als Lyrikerin präsent ist und der Ausstellung ihren Titel gegeben hat. Ihre Selbstporträts strahlen enorme Intensität aus, wirken sehr persönlich, ja, beinahe intim, und das ohne jeden Voyeurismus. Sie tragen Titel wie "Mundvoll Licht" oder "langsamer träumen", zeigen Guzik mit Mehrfachbelichtungen, Unschärfen und Spiegelungen in einem romantischen, manchmal fast mystischen Licht. Die Bilder reflektieren eine Auseinandersetzung der Fotografin mit sich selbst - und sind zugleich Ausdruck einer Suche nach einem Durchgang in die Außenwelt.

Die Kunstwissenschaft rubriziert die Arbeiten autistischer KünstlerInnen in ebenso unpassender wie hilfloser Weise gelegentlich als "Outsider-Art", um auch das noch labeln zu können, was sich herkömmlichen Kategorien ansonsten entzieht. Zugleich ist es schwer, die Kunstwerke ohne den Kontext ihrer Produktion zu sehen. "Doch genau um diesen Versuch möchte ich Sie bitten", schreibt Sebastian Baden von der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe in einem Text zur Ausstellung - "denn Kunstwerke sind nicht autistisch".

Und doch gibt es in dieser um die Themen "Identität" und "Zeichen" kreisenden Werkschau immer wieder kehrende Elemente. Sie arbeiten vielfach mit Chiffren - die aber nicht immer auch decodiert werden.

Zum Beispiel, weil der Künstler gar nicht sprechen will. So wie Adolf Beutler, der Installationen mit Zeichnungen verbindet, sie zu einer architektonischen Landschaft zusammen fügt, die prozesshaft immer wieder verändert wird, immer wächst, nie fertig ist, keinen Anfang hat und kein Ende. Und von fremden, schriftartigen Zeichen überzogen ist.

Andere wiederum, Olaf Behnke etwa, arbeiten sich an einem stets wiederkehrenden Thema ab, hier in Form von seriellen, am Fließband entstehenden Collagen, in der immer wieder die Figuren "Mann", "Frau", "Junge", "Mädchen" auftauchen. Oder Benjamin Binder, der aus unterschiedlichsten Materialien Schutzhüllen für Diktiergeräte oder Kassettenrekorder baut und sie mit selbst produzierten Texten oder eigens komponierter Musik kombiniert. Die ganz exakten Typenbezeichnungen der Geräte spult der Hamburger aus dem FF herunter - und wirkt darin leicht obsessiv.

In der breiteren Öffentlichkeit taucht der Autismus vor allem in einer milden Ausprägung, dem Asperger-Syndrom, immer wieder auf. Zum Beispiel in Fernseh-Talkshows, in denen Betroffene dann als etwas schrullige, aber partiell eben auch hochintelligente Menschen vorgeführt werden. Und dann fallen die ganzen prominenten Namen, denen die Krankheit zugeschrieben wird, gerne posthum, ob zurecht oder zu Unrecht: Michelangelo und Mozart, Kandinsky und Bruckner, Einstein und Warhol, und so weiter.

"In einem solchen Licht sonnt sich die Kunst gerne", sagt Sebastian Baden, "wiewohl nur wenige Persönlichkeiten von Weltruhm auch wirklich autistisch veranlagt gewesen sein mögen."

Gemeinsam ist den Werken, dass sie Produkt einer ausgesprochen fokussierten, ausdauernden, nicht alltäglichen Konzentration sind. Das heißt nicht zugleich auch, dass es sich dabei um genuin "autistische Kunst" handelt. Sehr wohl aber, dass es autistische KünstlerInnen gibt, die auch außerhalb des pathologischen Rahmens ernsthafte Beachtung verdienen.

bis 9. Oktober, Krankenhaus- Museum im Klinikum Bremen-Ost, Züricher Str. 40
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