Ikonografie der Amy Winehouse: Der Tod steht ihr gut

Popstars wie Amy Winehouse können niemals so ganz gehen, wenn sie sterben. Sie leben und geben ihr Leben immer auch stellvertretend für uns.

Eine Versehrte in der Tri-Tra-Trallala-Welt des Pop: Amy Winehouse. Bild: Reuters

Noch weiß man nicht, ob sie an zuviel Drogen oder zu wenig Alkohol gestorben ist. Es werden noch Wochen vergehen, bis das Ergebnis der Obduktion vorliegt. Der Tod, mit dem die Frühvollendete jahrelang geflirtet hat, er steht ihr gut. Vielleicht zu gut.

Anders ist kaum zu erklären, dass eine Woche nach ihrem Ableben mehr Tonträger von Amy Winehouse verkauft worden sind als in jeder anderen Woche zuvor. Wegen der gewaltigen Nachfrage mussten sogar Platten nachproduziert werden.

Das 2006 erschienene Album "Back to Black" eroberte am Sonntag die Spitze der britischen Albumcharts zurück, ihr Debüt "Frank" von 2003 stieg auf Platz 5 ein, eine Box mit beiden Alben landete auf Platz 10, sogar fünf Singles tauchten jäh wieder unter den ersten 40 Plätzen der Charts auf.

Wer tut sowas? Warum rennt jemand, dem bisher nicht der Sinn nach radiotauglichem Gebrauchssoul stand, nach dem Tod der Sängerin auf einmal in den Plattenladen? Mitleid? Oder liegt’s am Reiz der Verknappung? Das Werk der Winehouse ist schmal und wesentlich breiter wird es auch nicht mehr – auch wenn derzeit das Rohmaterial für ein weiteres Album nach zumut- und verwertbaren Songs durchkämmt wird.

Popstars wie Elvis Presley, Marilyn Monroe, Jim Morrison, Janis Joplin, Kurt Cobain, Michael Jackson oder eben Amy Winehouse können niemals so ganz gehen, wenn sie sterben. Sie leben und geben ihr Leben immer auch stellvertretend für uns, denen es naturgemäß an Talent mangelt oder auch nur an der Bereitschaft zur Selbstzerstörung. Was bei solchen Stars schon immer für die Öffentlichkeit bestimmt war, geht nach dem Tod endgültig ins kollektive Gedächtnis dieser Öffentlichkeit ein.

Eine Ikone im streng byzantinischen Sinn

Würde Lady Gaga heute von einem Lastwagen überfahren werden, was hätten wir wohl morgen von ihr noch in Erinnerung? Womöglich ein Schnitzelkleid. Bei Winehouse gibt’s in dieser Hinsicht keine Zweifel. Ihr Bild steht fest, seit sie am 23. Juli das Zeitliche segnete. Und dieses Bild ist schon jetzt eine Ikone im strengen byzantinischen Sinne.

Kein Kunsthandwerk, keine Dekoration – sondern ein sozusagen geweihtes Abbild mit einer ganz eigenen, unverwechselbaren Ikonografie: Der Beehive, jene Bienenstock-Frisur, die aus dem kleinen Mädchen ein großes machte und, wie die Musik, aus den Sechzigerjahren stammt. Kajalbedingte Augenausdrucksverstärkungen, Modell "Kleopatra". Ein Madonna-Piercing seitlich über der Oberlippe, das so heißt, weil Madonna dort ein Muttermal hat. Ansonsten dominiert demonstrative Schmucklosigkeit an Armen und Hals, statt dessen die Narben autoaggressiver Attacken.

Eine ganz eigene Geschichte erzählten die wirren Tätowierungen: "Daddy’s Girl" mit Hufeisen und barbusiger Comicfigur auf dem linken, eine Hommage an ihre Großmutter "Cynthia" auf dem rechten Oberarm, dazu stilisierte Pin-Up-Modelle. Auf dem rechten Unterarm ein Blitz, ein singendes Vögelchen ("Never clip my wings"), auf Blinddarmhöhe ein klassisches Ankermotiv ("Hello Sailor") und über der linken Brust eine stilisierte Hemdtasche, dem Ex-Gatten Blake Fielder-Civil gewidmet, auf dem Schulterblatt endlich ein rätselhafter Seeadler hinter einem Henkelkreuz.

Blutige Schuhe und Zahnlücken

Amy Winehouse, eine illustrierte Frau. Eine Versehrte in der Tri-Tra-Trallala-Welt des Pop, wo Verletzungen sonst immer nur behauptet werden. Heroin sah bei ihr niemals so "chic" aus, wie sich Modemacher das wünschen, sondern nach geschwollenen Knöcheln, Platzwunden auf der Stirn, blutigen Schuhen und Zahnlücken. Im Dezember 2007 wurde sie, nur mit Jeans und BH bekleidet, heulend auf der Straße in London aufgegriffen – und, wie immer, fotografiert. Das Bild konnte selbst den größten Zyniker zu Tränen rühren. Es zeigte, wohin die Reise ging.

Wir warten noch immer auf den Popstar, der den ultimativen Schritt geht und seinen Tod nur vortäuscht, um auf einem abgelegenen polynesischen oder ägäischen Eiland seinen wuchernden Nachruhm zu genießen. Michael Jackson wäre ein solcher Kandidat gewesen, Amy Winehouse nicht. Sie war zu echt, ihr Leben auserzählt. Welche Wendung hätte es noch nehmen können? Einer geheilten und nüchternen Künstlerin, womöglich mit Kindern, was hätten wir ihr noch abgekauft? Vielleicht eine Pilates-DVD, ganz sicher keinen Soul.

Und das ist auch der Grund, warum sie heute eine Ikone ist und mehr Platten verkauft als zu Lebzeiten. Weil wir, als wär’s ein Splitter vom Kreuz Christi, einen kleinen Teil dieser Geschichte besitzen, selbst zu einem kleinen Teil dieser Geschichte werden wollen. Weil erst durch ihren Tod ihre Kunst auf endgültige Weise beglaubigt wurde. Die meinte das alles einfach wirklich ernst.

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