Opfervertreterin Djurovic zu Missbrauch: "Nicht auf geschlossene Heime setzen"

Investitionen vor allem in die Missbrauchs-Aufklärung von ErzieherInnen tun not, sagt das frühere Heimkind Djurovic. Heimkinder kommen häufig aus einfachen Verhältnissen.

Früher war nicht alles besser. Bild: Cattari Pons / photocase.com

taz: Frau Djurovic, Sie waren eine der OpfervertreterInnen beim runden Tisch Heimerziehung, bei dem es um Misshandlungen von Heimkindern vor allem der frühen Bundesrepublik ging. Eine neue Studie des Deutschen Jugendinstituts zeigt, dass es auch heute noch viele Misshandlungen in Heimen gibt. Liegt das an der Institution Heim?

Sonja Djuvoric: Es ist immer noch das Problem, dass Heime auch heute zum Teil geschlossene Institutionen ohne ausreichende Kontrolle sind. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche über ihre Misshandlungen oft schweigen, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen - oder gar weil sie sich irrigerweise vielleicht selbst die Schuld geben für die Verbrechen. Denn auch die heutigen Erzieher sind eben Autoritätspersonen.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit sich das Ausmaß des Missbrauchs in Heimen verringert?

Der Staat müsste mehr investieren in die Aufklärung der Erzieher über Missbrauch, aber nicht in geschlossene Heime! Auch die Kontrolle der Heime müsste intensiviert werden. Wahrscheinlich ist auch mehr geschultes Personal nötig. Es ist auch ganz schrecklich, dass es in den vergangenen Jahren wieder Tendenzen gibt, häufiger geschlossene Heime aufzubauen.

Hat man da nichts gelernt?

62, war Opfervertreterin am staatlichen runden Tisch Heimerziehung. Sie war 1964 bis 1968 in einem evangelischen Heim und musste Schneiderin lernen.

Natürlich haben Heime heute nicht mehr diesen Gefängnischarakter wie noch zu meiner Zeit. Zwar sind die Erzieher heute besser ausgebildet und müssen weniger Kinder betreuen, also vielleicht fünf pro Erzieherin, während es früher 30 oder auch mehr waren. Das Problem aber bleibt, dass Menschen mit pädophilen Neigungen weiter in der Versuchung sind, in Schulen, in Sportvereinen oder eben Heimen Unterschlupf zu finden.

Hat die Auseinandersetzung über Misshandlung von Kindern in den vergangenen Jahren etwas gebracht?

Eine Entstigmatisierung für uns, die ehemaligen Heimkinder, hat bis heute nicht stattgefunden. Es ist immer noch eine enorme Scham vorhanden – und unsere Forderung nach einer fairen Entschädigung fand im Bundestag auch kein Echo.

Haben es Heimkinder in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht auch deshalb schwerer, weil sie überproportional häufig aus einfachen Verhältnissen kommen und die Gesellschaft da gern wegschaut?

Es ist bezeichnend, dass der runde Tisch für die Heimkinder viel weniger Geld zur Verfügung hatte als der runde Tisch zum sexuellen Missbrauch, wo es eben sehr viel häufiger um Mittel- oder Oberschichtkinder ging. Heimkinder kommen auch heute oft aus armen oder migrantischen Familien. Und die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Auch deshalb muss der Staat da viel mehr machen.

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