Kommentar "News of the World"-Skandal: Was dürfen Journalisten?

Die technischen Möglichkeiten, um unbemerkt an Informationen zu gelangen, werden immer besser. Für seriöse Journalisten stellt sich die Frage, wie weit sie gehen dürfen.

In diesem Fall besteht kein Zweifel. Nirgendwo. Wer Nachrichten auf der Mailbox eines entführten Mädchens löscht, um an Material für Sensationsgeschichten zu kommen, legt ein Ausmaß an Verderbtheit an den Tag, für das es keine Entschuldigung gibt. Das ist kriminell und hat weder etwas mit Wahrheitsfindung noch mit Journalismus zu tun.

So weit, so eindeutig.

Nun könnte man sich einen schlanken Fuß machen und schreiben, schlimmer als im Murdochland Großbritannien gehts eh nimmer, und über die verbrecherischen Machenschaften dieser Medienkrake wissen alle, die es wollen, doch schon lange Bescheid. Und sowieso, der böse Boulevard.

Auch das stimmt. Es entlässt den seriösen Journalismus dennoch nicht aus der Frage, wie weit Enthüllungsjournalismus gehen darf. Auch, und das sei an dieser Stelle einmal sehr explizit gemacht, wenn News of the World mit Qualitätsjournalismus nichts zu tun hatte.

Was also ist die Aufgabe von Journalisten in diesen Zeiten, wenn jemand, der sich auskennt, mit einigen Klicks in das Privateste eines Menschen vorstoßen kann? Was bedeutet es, dass man keine physische Energie mehr aufbringen muss, um in die Privatsphäre eines Menschen einzudringen? Und: Sind mit Wikileaks nicht ohnehin alle Grenzen gefallen?

Für JournalistInnen und Medienhäuser, die ihren Berufsstand und sich selbst ernst nehmen, muss das genaue Gegenteil gelten. Gerade weil die technischen Möglichkeiten immer größer werden, dürfen die Grenzen des Erlaubten nicht immer weiter verschoben werden. Ja, es ist richtig, dass moderne Technologien auch neue, berauschende Recherchemöglichkeiten eröffnen. Die alte Grundtugend aber, dass die Fakten eines Informanden mit journalistischen Mitteln weiterverfolgt werden und überprüft sein müssen, bevor man sie publiziert, sind damit nicht außer Kraft gesetzt.

Wenn das auch in der Netzgemeinde nicht alle so sehen und handhaben mögen: Die Rolle einer Journalistin und eines Journalisten hat sich im Grunde nicht verändert. Ihre Aufgabe ist es, Informationen zu beschaffen, sie der Allgemeinheit zu vermitteln und einzuordnen.

Das heißt: Selbst wenn es der Wahrheitsfindung dienen mag, es ist zurecht nicht alles erlaubt. Auch PolitikerInnen und Millionäre haben den Anspruch auf Schutz der Privatsphäre. Und dennoch: Grauzonen werden sich nicht gänzlich wegdefinieren lassen. Die Presse hat schließlich auch die Aufgabe, die Mächtigen, die Eliten zu kontrollieren. Ein Auftrag, den in Großbritannien offensichtlich schon lange kaum einer mehr neutral erfüllt.

Emotional mag man dabei bei denen sein, die für die vermeintlich gute Wahrheit alle Grenzen überschreiten. Schnell stellt sich dann die heikle Frage, ob ein bisschen Folter erlaubt ist, um ein Entführungsopfer befreien zu können. Auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Diese aber zu beschützen zählt zu den Kernaufgaben des Journalismus.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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