Festakt für ermordete Geistliche: Ökumenische Heldenverehrung

In Lübeck werden am Samstag vier von den Nazis getötete Geistliche geehrt. Die drei Katholiken spricht man selig. Für den Protestanten, der spät vom Nazi zum Widerständler wurde, gibt es ein "ehrendes Gedenken".

Wegen Widerstands ermordet: Johannes Prassek, Hermann Lange (o.), Eduard Müller, Karl Friedrich Stellbrink (u.) Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Katholiken schätzten ihn mehr als die eigenen Leute. Und das, obwohl der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink strammer Nazi war, bevor er widerständig wurde und gemeinsam mit drei Lübecker Kaplänen antifaschistische Predigten hielt und Flugblätter verteilte.

1941 war das, da ging es den Kirchen gerade besonders hart an den Kragen, und die Theologen entschlossen sich zur Gegenwehr. Es war eine ökumenische Freundschaft, und schon hier beginnt die Besonderheit der Geschichte der vier von den Nazis ermordeten Lübecker Geistlichen, denen am heutigen Samstag ein Festakt gelten wird.

"Seligsprechung" nennen ihn die Katholiken, "ehrendes Gedenken" die Protestanten. Was die vier Geistlichen einte: Sie waren in Lübeck tätig, die drei Katholiken - Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek - an der Herz-Jesu-Kirche, der Protestant Karl Friedrich Stellbrink an der Lutherkirche.

Die Kapläne hatten in Münster studiert und kannten Kardinal Clemens August Graf von Galen, der sich 1941 als erster Geistlicher öffentlich gegen die Euthanasie-Praxis der Nazis aussprach.

Die Lübecker überzeugte das. Sie tippten seine Predigten ab und verteilten sie. Sie sagten auf der Kanzel, dass Rassismus nicht mit ihrem Glauben vereinbar sei. Stellbrink predigte nach einem Bombenangriff 1942, Gott habe mit mächtiger Sprache geredet. Die Lübecker würden wieder lernen zu beten.

Das war für das Regime zu viel: Kurz darauf wurden alle vier verhaftet und ins Hamburger Untersuchungsgefängnis gebracht. Der Prozess dauerte zwei Tage. Am 10. November 1943 tötete sie das Fallbeil - im Abstand von je drei Minuten.

Am 10. November 1943, an dessen Abend er, wie die Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek, hingerichtet wurde, schrieb Karl Friedrich Stellbrink an seine Frau:

"Nun hat alles Warten ein Ende, der Weg liegt endlich wieder klar vor mir, und das Ziel ist uns Christen ja bekannt. Wie oft habe ich davon gepredigt; nun ist es bald erreicht."

"Ihr aber bleibt nun zurück und habt noch alles Kämpfen und Ringen vor Euch. Und ich kann Euch dabei nicht mehr helfen, wie ich es so liebend gern noch getan hätte. Aber glaubt es mir: Gott weiß es besser als wir, was gut ist. Und es ist doch Wahrheit, was ich so oft gepredigt: Väter auf Erden machen 1.000 Fehler, der himmlische Vater macht nicht einen einzigen".

"Ich danke euch für alle Liebe, die ihr mir erzeigt, alle Freude, die ihr mir gemacht, alle Geduld, mit der ihr mich getragen habt."

Seither verehren die Lübecker Katholiken ihre Kapläne als Märtyrer: Seit 1955 hängt eine Gedenktafel in der Herz-Jesu-Kirche. Die Protestanten sind mit ihrem "bekehrten" Widerständler zögerlicher umgegangen. Erst 1993 hat man ihn offiziell rehabilitiert. Die Katholiken monieren das, und auf die Frage, wann sie ihre Kapläne rehabilitiert hätten, heißt es, das sei ja nicht nötig gewesen, da man sie von Anfang an als Märtyrer anerkannt habe.

Aber das sind Spitzfindigkeiten, mit denen sich Hamburgs Erzbischof Werner Thissen, der die Seligsprechung 2004 initiierte, nicht belasten will. Von Anfang an trieb ihn die Idee um, alle vier gemeinsam zu ehren und damit Ökumene mal katholischerseits voranzutreiben.

Also machte er sich auf den Weg durch die Institutionen: Diözese und Vatikan mussten überzeugt werden, dass die Männer für den Glauben starben. Ohne deren Abschiedsbriefe wäre dieser Nachweis schwer gelungen: Als "Fügung" bezeichnet es der Lübecker Historiker Peter Voswinckel, dass er just 2004 jene Briefe entdeckte.

Eigentlich, sagt er, habe er damals das Lübecker Kirchenarchiv aufarbeiten sollen. Zufällig stieß er dabei auf eine Korrespondenz aus den 60ern: Ein DDR-Journalist bot an, einen der Briefe herzubringen. Doch es herrschte Kalter Krieg, und das Bistum fürchtete Bespitzelung. Man ließ den Vorgang ruhen.

Voswinckel fand die Akte. Sie enthielt das Urteil und alle Abschiedsbriefe. Diese waren 1970 in einem SED-Verlag ediert worden. Der Westen hatte es nicht bemerkt. Dabei seien die Briefe eindrucksvolle Glaubenszeugnisse, sagt Voswinckel. Alle vier Geistlichen schreiben von ihrer Freude, bald Gott zu schauen und so ihr Lebenswerk zu krönen.

Die verschiedenen Versionen des Urteils indes erhellen, warum die Strafe so drakonisch war. "Letztlich", sagt Voswinckel, "wurden die vier nicht für das Hören ausländischer Sender verurteilt, wie es offiziell heißt." Die erste Fassung nenne den wahren Grund: die Verbreitung der von Galen'schen Predigten.

"Auf ihn hatte Hitler es abgesehen", sagt der Forscher. "Doch an den beliebten Kardinal traute er sich nicht heran." Wohl aber an die Lübecker. Aber der Name "von Galen" durfte nicht fallen. So geschah es. In der zweiten Version des Urteils war der Name getilgt.

Dass von Galen Katholik war, passt ins Bild. Von Anfang an hätten Katholiken mehr Widerstand geleistet als Protestanten, bestätigt Rainer Hering, Leiter des Landesarchivs Schleswig-Holstein. "Die katholische Kirche war nie so staatsnah wie die protestantische. Sie hat nie Parolen wie ,ein Gott, ein Führer' ausgegeben oder sich, wie die ,Deutschen Christen', unterwandern lassen".

Warum aber haben die Protestanten ihre wenigen Widerständler so spät gewürdigt? Schleswig-Holstein, sagt Hering, sei hier ein Sonderfall. "Die Region war nach 1945 Rückzugsort für etliche nazifreundliche Theologen. Das hat die Aufarbeitung behindert - abgesehen davon, dass Stellbrink eine ambivalente Figur war."

In der Tat: Vorbehalte bleiben. Auch der Hamburgs evangelischer Propst Jürgen Bollmann will Stellbrink "nicht in einem Atemzug mit Dietrich Bonhoeffer nennen. Zwischen ihnen besteht ein Qualitätsunterschied."

Der soll am Samstag aber keine Rolle spielen. Stellbrinks Tochter wird im Lübecker Dom eine von vier Kerzen anzünden. Eine Geste mit Strahlkraft: 9.000 Besucher werden zu dem Akt erwartet, der auf mehreren Bildschirmen sowie auf Bibel TV übertragen wird.

In Zeiten von Missbrauchs-debatten weckt solch ein Spektakel Skepsis. Er sorge sich, sagt der Hamburger Hans-Hermann Mack, dass der Akt ein Feigenblatt werde.

Er sitzt im Auschwitz-Komitee und weiß von Katholiken, die die Kirche drängte, sich vom jüdischen Partner scheiden zu lassen. "Eine Entschuldigung der Kirche gab es nie." Er fürchtet, dass die auch am Samstag ausbleibt, dass keiner sagt, dass Katholiken meist Mitläufer waren.

Bistumssprecher Manfred Nielen ist indes "sicher, dass die Redner zwischen der Masse der Mitläufer und den wenigen Widerständlern unterscheiden werden".

Und der 78-jährige Kardinal Walter Kasper, der die Predigt halten wird, erinnert sich gut an den Druck der Nazizeit. Die "Märtyrer" zeigten, "dass es damals das andere Deutschland gab, das sich nicht gebeugt hat", hat er gesagt. Vielleicht sagt er es auch am Samstag.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.