Türkischer Fußball: Schwuler Schiri verklagt Verband

Weil er homosexuell ist, glaubt Halil Ibrahim Dincdag, wurde er vor zwei Jahren vom Platz gestellt. Jetzt fordert er Schadensersatz und will aufs Spielfeld zurück.

Halil Ibrahim Dincdags Anpfiff gilt dem türkischen Fußballverband. Bild: photocase/sör alex

ISTANBUL taz | Halil Ibrahim Dincdag ist ein schwuler Schiedsrichter. Seit zwei Jahren darf er keine Spiele mehr pfeifen – offiziell gilt er als nicht fit. Jetzt hat Dincdag an einem Istanbuler Gericht Klage gegen den türkischen Fußballverband (TFF) eingereicht. Nicht mangelnde Fitness, sondern seine sexuelle Orientierung, sagt er, sei der Grund für seinen plötzlichen Rauswurf nach 13 Jahren Dienst an der Pfeife. Er fordert 48.000 Euro Schadensersatz und Wiedereinstellung.

Im Gegensatz zu anderen muslimischen Ländern ist Homosexualität in der Türkei nicht illegal, sondern sogar seit 1858 offiziell anerkannt. Dennoch werden offen schwule Männer nicht zur Wehrpflicht zugelassen. Für das türkische Militär ist Homosexualität eine psychosexuelle Störung, "erkrankte" Männer werden in Krankenhäuser verlegt und dann ausgemustert. Weil Schiedsrichter in der Türkei ihren Wehrdienst abgeleistet haben müssen, Dincdag dafür aber nicht "gesund" genug war, konnte er folglich auch kein Schiedsrichter bleiben – so argumentiert der türkische Verband. Seine Homosexualität spiele da keine Rolle.

Der schwule Schiedsrichter will das nicht hinnehmen. Als der Fall vor zwei Jahren bekannt wurde, sorgte er für viel Aufmerksamkeit in der Türkei. Nachdem zunehmend Gerüchte über einen gefeuerten schwulen Schiri kursierten, ging Dincdag schließlich selbst an die Öffentlichkeit: in einer bekannten Fußballsendung machte er seine Homosexualität publik.

Er kündigte an, er werde nicht aufgeben, gegen die Diskriminierung zu kämpfen und dafür nötigenfalls bis zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen. Daraufhin sah er sich mit Morddrohungen konfrontiert, verließ seinen Wohnort Trabzon und zog nach Istanbul, um unerkannter leben zu können.

Nicht glücklich als Gallionsfigur

Homosexualität ist in der Türkei nach wie vor ein Tabuthema. Zwar sind etliche Stars der türkischen Musik- und Showszene offen schwul oder transsexuell. Auch aus der Zeit der Sultane ist bekannt, dass die Türkei durchaus eine homosexuelle Tradition kennt. Und im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen habe sich das Klima für Schwule und Lesben verbessert, sagen türkische Menschenrechtsorganisationen.

Doch unter der religiös-konservativen Regierungspartei AKP ist Homophobie und gesellschaftliche Diskriminierung immer noch weit verbreitet, was erst im Mai von Human Rights Watch scharf kritisiert wurde. Homosexualität gilt Eltern oft genug als Anlass, ihr Kind zu verstoßen. Und natürlich ist jeder Schiedsrichter bei einer Fehlentscheidung für die Fans im Stadion sofort eine "Schwuchtel".

Halil Ibrahim Dincdag ist mittlerweile 35 Jahre alt. Sein Fall hat eine gesellschaftliche Debatte über Homosexualität angestoßen und ihn zu einer Gallionsfigur der Schwulenbewegung erhoben. Doch richtig glücklich ist er damit nicht: "Seit ich in den Schlagzeilen bin, habe ich keinen Job mehr finden können", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

Das Gericht setzte als ersten Verhandlungstag den 20. Oktober fest. "Ich schätze, schwule Schiedsrichter geben gutaussehenden Stürmern tendenziell mehr Elfmeter", ätzt der bekannte Fußballkommentator Erman Toroglu. Mit diesen Ressentiments will Dincdag aufräumen – doch in erster Linie will er endlich wieder auf den Platz.

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