Anti-Atom-Bewegung in Göttingen: Aktivisten im Stress

Für manche Atomkraft-Gegner ist der Protest zur Dauerbeschäftigung geworden. Ein Stimmungsbericht aus der Göttinger Szene vor dem großen Aktions-Samstag.

e.off: Anti-Atom-Demo in Göttingen. Bild: Stephan Knoblauch

GÖTTINGEN taz | Es ist wieder spät geworden. Erschöpft trottet ein gutes Dutzend Göttinger Anti-AKW-AktivistInnen aus dem Versammlungsraum in der Ver.di.-Zentrale auf die Straße.

Bis weit nach 23 Uhr hat die Sitzung gedauert, für die meisten war es schon der dritte Abendtermin in dieser Woche. Göttingen ist eine von 21 Städten, in denen an diesem Wochenende Großdemonstrationen gegen Atomkraft stattfinden.

"Es gibt unglaublich viel zu bedenken und zu machen", sagt Pit Naumann*, einer der AKW-Gegner. Die Demo-Route muss ausgewählt, die Presse informiert, Redner und Bands für die Kundgebung müssen angefragt werden - Jutta Ditfurth hat abgesagt, dafür spricht nun Elmar Altvater. Flugblätter verteilen, Plakate kleben, Termine mit den Leuten von Ordnungsamt und den Anwälten abstimmen.

Wo sollen die Klo-Häuschen aufgestellt werden, wie kommen wir an Strom, welche Bio-Höfe betreiben die Essen- und Getränkestände, wer organisiert das Catering für die Musikgruppen? "Wir sind fünf Musiker. Drei davon sind Vegetarier und einer davon isst nichts mit Sahne", haben die für die Kundgebung gebuchten Speed-Folker der "Transsylvanians" den Göttinger Demo-Organisatoren in einer Email mitgeteilt.

Die Göttinger Anti-Atom-Leute haben also reichlich Stress - und sind doch in einem Stimmungshoch, beflügelt von den eigenen Erfolgen. Noch vor wenigen Monaten stand die Anti-AKW-Bewegung etwas ratlos da, wie ein Verlierer.

Die Bundesregierung hatte längere AKW-Laufzeiten beschlossen. Die Atomkonzerne rieben sich die Hände - alle Großdemonstrationen und Kampagnen, so schien es, hatten nichts genutzt.

Dann schwappte in Japan die große Welle über das Atomkraftwerk Fukushima. Über Wochen beherrschte der schleichende Super-GAU die Berichterstattung, in Deutschland Hunderttausende zogen auf die Straßen und Plätze und forderten lautstark die sofortige und endgültige Stilllegung der AKWs.

Wie in anderen Orten entstanden auch in Göttingen neue Anti-Atom-Initiativen, eine uralte aus den 1970er Jahren, der Arbeitskreis gegen Atomenergie, wurde wieder belebt.

Hunderte Haushalte haben in den vergangenen Wochen den Stromanbieter gewechselt. Bei einem vom AKW-Betreiber "e.on" gesponserten Radrennen protestierten Dutzende mit "e.off"-T-Shirts und Transparenten.

1.000 Göttinger kamen nach dem Unfall in Japan zu einer ersten Kundgebung auf den Marktplatz, einige hundert fuhren Ostermontag mit Fahrrädern, Traktoren oder dem Zug zur Demo nach Grohnde. Montagabends versammeln sich immer noch 200 bis 300 Demonstranten am Gänseliesel-Brunnen. Für diesen Samstag wollen die Aktivisten 5.000 Demonstranten zusammenbringen - das wäre eine Rekordzahl für die Stadt.

Tobias Darge verteilt auf dem Campus der Universität Flugblätter, die für die Demo werben. Auch er ist seit Wochen im anti-atomaren Dauereinsatz. In der Bundesregierung gebe es immer deutlichere Absetzbewegungen von einem Atomausstieg, sagt er. "Wenn wir am Samstag bundesweit noch einmal mehr als hunderttausend Leute auf die Straße bringen, ist das ein Signal, das sie nicht übersehen können."

Auf dem Göttinger Wochenmarkt steht am Donnerstagmorgen der Bio-Bauer Ludwig Pape aus dem Eichsfeld. Neben Gemüse und Schweinefleisch von seinem Hof hat er Anti-Atom-Plakate gelegt. Obwohl Erntezeit ist und viel zu tun im Betrieb, hat auch Pape zuletzt in jeder Woche mehrere Abende bei Anti-Atom-Treffen und Konferenzen in Göttingen zugebracht.

"Als allermindestes müssen wir durchsetzen, dass die abgeschalteten AKW nicht mehr ans Netz gehen", sagt er. "Dahinter darf es kein Zurück geben." Zur Demo am Samstag will Landwirt Pape mit dem Traktor anrollen. Den lukrativen Verkaufsstand auf dem Markt lässt er dafür sausen.

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