Vorstandssitzung stoppt Führungsstreit: Linkspartei jetzt für Frieden

Nach Wochen voller Beschimpfungen und Rücktrittsforderungen beschließt der Vorstand der Linkspartei einstimmig, den Streit über Lötzsch und Ernst sofort beizulegen.

Offiziell unumstrittenes Führungsduo: Klaus Ernst und Gesine Lötzsch. Bild: dpa

BERLIN taz | Vier Stunden saß der geschäftsführende Vorstand der Linkspartei am Mittwoch bei der kurzfristig einberufenen Krisensitzung zusammen. Als die Mitglieder kurz vor 14 Uhr in den sonnigen Innenhof des Karl-Liebknecht-Hauses kommen, stehen ihnen die Wochen voller Beschimpfungen, die diplomatischen Anstrengungen der letzten Tage ins Gesicht geschrieben. "Alles wird gut", sagt einer. Keine Rücktritte also, keine Überraschungen. Alles bleibt, wie es ist.

Die Sondersitzung wurde einberufen, weil der interne Streit seit dem Wochenende eskaliert war. Nach dem Wahldebakel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und der uneinsichtigen Reaktion von Parteichef Klaus Ernst rumorte es bei seinen parteiinternen Gegnern ohnehin.

Als Ernst dann am Wochenende in Hamburg seinen Kritikern vorwarf, sie hätten ihn von Beginn an abgelehnt und wollten das klare Profil der Partei aufweichen, forderte Bundesschatzmeister Raju Sharma in einem Zeitungsinterview, Ernst solle sich "konkret äußern oder die Klappe halten" – woraufhin Ernst zürnte und Parteivize Sahra Wagenknecht Sharmas Rücktritt forderte. "Wir müssen das bei der Sitzung gestoppt kriegen, sonst rast der Zug unkontrolliert gegen die Wand", so ein Spitzenfunktionär noch am Dienstagabend.

Der Zug wurde am Mittwoch gestoppt, so will es jedenfalls die Parteispitze verstanden wissen. "Die Personaldebatten waren äußerst schädlich für uns, deshalb haben wir jetzt beschlossen, damit aufzuhören", sagte Klaus Ernst nach dem Krisentreffen.

Schriftlich verständigte man sich, Debatten über Führungspersonal sofort einzustellen. Raju Sharma bedauere seine Äußerungen, die Rücktrittsforderungen seien zurückgenommen, heißt es in dem Papier. Jetzt müsse wieder inhaltlich gearbeitet werden. Unisono berichteten die Teilnehmer von einer konstruktiven Atomsphäre. "Das Verständnis füreinander, die Motive hinter manchen Äußerungen wurden geklärt", sagte Sharma.

Der gute alte Flügelstreit

Dass der jetzt per Dekret vereinbarte Frieden lange anhält, ist dagegen ungewiss. Denn der öffentlich ausgetragene Streit der vergangenen Tage ist nur der Höhepunkt eines seit langem schwelenden internen Konflikts. Die Partei spaltet sich in realpolitisch orientierte ehemalige PDSler und antikapitalistisch eingestellte ehemalige WASG-Mitglieder. Lange war es gelungen, die Flügel zusammenzuhalten. Nach Oskar Lafontaines Rückzug als Parteichef Anfang 2010 brach der Streit aber wieder aus.

Fraktionschef Gregor Gysi übernahm damals faktisch kurzzeitig die Macht und besetzte alle Posten der Parteiführung doppelt. Streng quotiert nach Ost/West, Mann/Frau und Flügelzugehörigkeit. Der Parteitag nickte sein Personaltableau folgsam ab. So kamen Lötzsch und Ernst an die Macht. Zwei Parteibildungsbeauftragte wurden installiert, zwei Bundesgeschäftsführer eingesetzt. "Nicht einmal die Grünen sind auf solch eine Idee gekommen", lästern Kritiker.

Was von Gysi als Absicherung nach allen Seiten hin gedacht war, entpuppt sich jetzt als "gescheitertes Projekt", wie ein Bundestagsabgeordneter sagt. Die Umfragen sprechen für diese Sichtweise. Vor einem Jahr erzielte die Partei noch 11 bis 12 Prozent, jetzt nur noch 7 bis 8. Im Mai wird in Bremen gewählt, dort droht eine weitere Wahlschlappe. In Berlin könnten sie im September aus der Regierung fliegen.

Spitzenduo auf Abruf

Die Spitzenfunktionäre blockieren sich gegenseitig. Von einem "katastrophalen Binnenverhältnis" spricht ein Reformer. Weder Ernst und Lötzsch noch die Bundesgeschäftsführer Caren Lay und Werner Dreibus könnten konstruktiv miteinander arbeiten. Das Klima sei vergiftet. Selbst Gysi scheint zu wissen, dass Lötzsch und Ernst nur noch Vorsitzende auf Abruf sind.

Mit seiner Ankündigung, Oskar Lafontaine würde in einer "Notsituation" der Partei wieder auf die bundespolitische Bühne zurückkehren, hat er das Spitzenduo schwer beschädigt – und zugleich viele Ostgenossen verärgert. Pure Hilflosigkeit werfen ihm einige vor. Von einer "Phantomdebatte" und einem "Armutszeugnis für die Partei" war die Rede.

Inmitten der internen Gefechte befindet sich die Partei in einer Programmdebatte. Im Oktober soll ein Parteiprogramm verabschiedet werden. Die Diskussion darüber wird zwar immer wieder angemahnt, gerät angesichts der Personalquerelen allerdings in den Hintergrund. "Wir müssen uns entscheiden, in welche Richtung es mit der Partei gehen soll", sagt der Bundestagsabgeordnete Jan Korte. "Wollen wir uns auf wenige Themen beschränken oder unser Spektrum erweitern und eine moderne, linke Partei werden. Eine sozialistische Bürgerrechtspartei." Beides ginge, er tendiere zur zweiten Lösung. "Eins ist sicher: So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen."

So gut wie sicher ist auch, dass Ernst und Lötzsch nicht mehr wiedergewählt werden. Eigentlich stehen erst im Mai 2012 Neuwahlen an, doch dass die Parteivorsitzenden sich bis dahin halten, bezweifeln viele. Man müsse aber noch die kommenden Wahlen in Bremen und Berlin abwarten. Wie es nach der Ära Lötzsch/Ernst an der Parteispitze weitergehen soll, ist völlig unklar. Potenzielle Nachfolger sind nicht in Sicht.

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