Kommentar Merkels Atompolitik: Der Kanzlerin ist nicht zu trauen

Was bei der Kanzlerin fehlt, ist Selbstkritik, dass die schwarz-gelbe Politik der Laufzeitverlängerung falsch war. Und das dreimonatige Moratorium bietet den Vorteil des Ungefähren.

Wenn Unionspolitiker den Reißschwenk in der Atompolitik begründen, reden sie öfters von den TV-Bildern aus Japan. Diese Bilder seien so suggestiv, dagegen könne man keine Politik machen. Das ist kein gutes Argument. Es erhärtet den Verdacht, dass dieser Schwenk ein opportunistisches Manöver ist, um den Totalcrash zu vermeiden. Denn Bilder sind intensiv, aber flüchtig.

Wir haben in den letzten zwölf Wochen Bilder des Dioxinskandals gesehen, der Revolution in Tunesien und Ägypten, des Bürgerkriegs in Libyen und über die dreisten Ausreden von Guttenberg gestaunt. All das ist überblendet von den Bildern aus Fukushima, vom 24-Stunden-Nachrichtenbilderfluss, von dem man sich kaum abkoppeln kann. Ist absolut sicher, dass uns die Bilder aus Fukushima in drei Monaten nicht genauso schattenhaft fern erscheinen werden, wie derzeit die vom Lügenbaron oder dem Dioxinskandal?

Der Verdacht gegen Angela Merkel lautet, dass sie diese strukturelle Vergesslichkeit der Mediendemokratie einkalkuliert. Das dreimonatige Moratorium für die Alt-AKWs bietet den Vorteil des Ungefähren, Unverbindlichen. Schwarz-Gelb versichert, dass man bis Mitte Juni brauche, um die Sicherheit der deutschen AKWs zu überprüfen. Das ist schwer zu glauben. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass dieser Sicherheitscheck völlig neue, unbekannte Risiken zutage fördern wird oder soll.

Merkel sichert sich mit dem Zeitpuffer vielmehr ab. Es ist ein Art Vorratsbeschluss für alle Szenarien, für den Fall, dass der Fall-out über dass Meer treiben wird und der Super-GAU ausbleibt wie für den eines zweiten Tschernobyl mit zehntausenden Toten. Natürlich wird das entscheidend beeinflussen, wie es nach dem 15. Juni mit der schwarz-gelben Atompolitik weitergeht.

Der Zweifel, wie ernst Merkel die Wende in der Atompolitik meint, ist nach ihrem Auftritt im Bundestag größer geworden. Die Kanzlerin hat Rot-Grün vorgeworfen, deren Atomausstieg sei unzulänglich gewesen. Das ist zwar richtig - aber aus dem Mund der Union, die diesen Ausstieg erst erbittert bekämpft und dann halb zurückgenommen hat, Hohn. Was bei der Kanzlerin fehlt, ist schlicht Selbstkritik, wenigstens eine Andeutung, dass die schwarz-gelbe Politik, Alt-AKWs fast ein Jahrzehnt länger laufen zu lassen, falsch war.

Souverän geht anders. Der Aktionismus verdeckt nicht, dass Merkel eine Getriebene ist. Diese Verunsicherung spiegelt sich bis in ihren Stil. Mal tritt sie wie die Konsenskanzlerin der großen Koalition mit präsidialen Gestus auf, die das große Ganze im Blick hat, dann wechselt sie unversehens in den kleinkarierten Wahlkampfmodus. Demokratien zeichnet die Fähigkeit zur Selbstkorrektur aus. Deshalb sind sie Autokratien überlegen, die so lange an Fehlern festhalten, bis ihre eigene Existenz auf dem Spiel steht.

Merkel will, so ihre Ankündigung, einen neuen gesellschaftlichen Konsens in der Energiepolitik. Das ist, nach Fukushima, richtig. Doch die Kanzlerin schürt die Illusion, dies gehe ohne grundsätzliche Korrektur der schwarz-gelben Atompolitik. Sie verspricht ein bisschen Wende, mit Rückgabegarantie. Das wird nicht reichen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.