Gesichter der japanischen Katastrophe III: Ein Mann, der Geschichte schrieb

Premierminister Naoto Kan glänzt nicht mit Popularität. Nun verhilft ihm die Katastrophe zu einer Laufzeitverlängerung, in der er seine Führungsqualitäten beweisen könnte.

Ehemaliger Hoffnungsträger, heute im Umfragetief: Premier Naoto Kan. Durch die Katastrophe könnte er eine neue Chance bekommen. Bild: dpa

Auf Japans Premierminister Naoto Kan, seit dem 8. Juni 2010 im Amt, hätte noch vor einer Woche niemand gesetzt. Er und seine Regierung galten als angezählt. Die Meinungsumfragen bescherten dem 64-jährigen Kan, der als Minister vor 15 Jahren ein Hoffnungsträger war, nur noch geringen Rückhalt in der Bevölkerung.

Gerade erst hatte sein Außenminister wegen eines Spendenskandals, der auch Kan schwer belastet, zurücktreten müssen. Das Schicksal einer nur einjährigen Amtszeit, das viele glanzlose japanische Ministerpräsidenten teilen, schien auch auf Kan zu warten. Doch mit der Katastrophe vom Freitag bekam Kan plötzlich die unerwartete Chance einer eigenen Laufzeitverlängerung.

Seitdem tritt Kan wie seine rechte Hand Yukio Edano im silberblauen Arbeitsanzug vor die Kameras und versucht, Führungsqualitäten zu zeigen. Während er sich mit seinem Outfit demonstrativ in die Heerscharen der Katastrophenhelfer einreiht, appelliert er an sein Volk, in dieser schweren Zeit zusammenzustehen. Er verbeugt sich demütig vor der Nationalfahne, bevor er der unter Schock stehenden Nation erklärt, dass Japan in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt.

Sofort nach dem Erdbeben und Tsunami hatte sich Kan, der einst Physik studierte und später Patentanwalt wurde, im Hubschrauber über das Katastrophengebiet fliegen lassen und sich von den Schäden selbst ein Bild gemacht. Trotzdem werfen ihm manche ein zögerliches Handeln vor. Zumindest scheint sein dauerpräsenter Kabinettssekretär Yukio Edano zurzeit beim Volk besser anzukommen. Doch insgesamt wird Kans Regierung eine größere Offenheit sowie entschlosseneres Handeln bescheinigt als der Regierung 1995 beim Erdbeben in Kobe.

Offenheit und Aufklärung

Der seit 1980 im Parlament sitzende Kan kommt aus einer sozialdemokratischen Partei, die Mitte der 90er Jahre an der ersten kurzzeitigen Machtablösung der bis dahin dauerregierenden Liberaldemokraten (LDP) beteiligt war. Nach dem Bruch der nur kurz währenden Regierungskoalition verhalf aber auch Kan der LDP wieder zur Rückkehr an die Macht. Belohnt wurde er dafür 1996 mit dem Amt des Gesundheitsministers.

In seiner nur kurzen Amtszeit schrieb er Geschichte. Kan setzte durch, dass sein Ministerium einen Skandal um HIV-verseuchte Blutplasmakonserven nicht weiter vertuschte, sondern die Bevölkerung rückhaltlos aufklärte. Zugleich entschuldigte er sich bei den Opfern. Mit diesem bis dahin unbekannten Verhalten erreichte Kan eine für einen japanischen Minister enorm hohe Popularität.

Kans Geschichte, zu der auch noch in jungen Jahren die Tätigkeit als Verbraucheranwalt und die Zusammenarbeit mit einer bekannten Frauenrechtlerin zählt, gibt deshalb Anlass zu der Hoffnung, dass er auch in der jetzigen Krise auf Offenheit und Aufklärung setzt. Die starke konservative Opposition im Parlament wird ihm jetzt zumindest eine Zeit lang eine Chance geben müssen, um nicht selbst in Ungnade zu fallen.

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