Hamburger Laden verkauft Recyclingmode: Alte Stoffe, neue Kleider

Ein Laden im Hamburger Karoviertel macht vor, wie sich Kleidung wiederverwerten lässt: Er verkauft Röcke aus alten Sakkos, Kleider aus Gardinen oder Taschen aus Bettwäsche. Gekauft werden die Kreationen vor allem von Touristinnen. Ein Besuch.

Das Rattern der Nähmaschinen: Workshop im Hamburger Karoviertel. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | Es ist Sonntagvormittag, und in einem kleinen Laden im Hamburger Karoviertel räumen zwei Frauen Kleiderstangen zur Seite. Sie bauen in der Mitte des Ladens Tische mit Nähmaschinen auf und funktionieren den Kassen- zum Designtisch um.

Im Schaufenster türmen sich alte Kapuzenpullis, Sakkos, Röcke, Spitzendecken und Shirts: Material für den Recyclingmode-Workshop, der gleich beginnt.

Recyclingmode ist ein sich langsam ausbreitender Trend, bei dem aus Altkleidern neue Kleidungsstücke geschneidert werden. Seit Kurzem bieten Christina Schelhorn und Friederike Mieß in ihrem Recyclingmode-Laden dazu einen Workshop an.

Heute sind die Studentin Silke, die Abiturientin Anna und die Schülerin Lilly gekommen, Lilly hat sogar ihre eigene Nähmaschine mitgebracht. "Ich hab sie letztes Jahr geschenkt bekommen", sagt Lilly.

Die Recyclingkleider im Laden sind fast alle Unikate, Größen gibt es nicht. Viele Teile vertreibt Ladenbesitzerin Schelhorn unter ihrem eigenen Label, das genauso heißt wie der Laden: Redesign. Es sind Röcke aus alten Sakkos, Kleider aus Gardinen oder Taschen aus Bettwäsche.

Die meisten Sachen sind für Frauen, doch eine ihrer neusten Kreationen ist das "Tommy meets Ralph"-Hemd, das sie aus zwei verschiedenen Markenhemden zusammengeschneidert hat. Es hängt auf der einzigen Männerstange im Laden, neben aus alten Bundeswehrdecken genähten Pullis von einer Designerin aus der Nordheide, Schelhorns Wohnort.

Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt, in dem Laden gibt es auch Lampen mit Schirmen aus alten Atlanten und Armbänder aus alten Fahrradreifen. "Für Recyclingmode gibt es immer zwei Ansätze", sagt Schelhorn, "entweder man hat schon eine Idee im Kopf oder man lässt sich von den Materialien inspirieren."

Die Workshopteilnehmerinnen sollen sich beim Altkleiderberg im Schaufenster bedienen, Anna beginnt sofort zu wühlen. "Ich hatte mir schon vorher überlegt, dass ich eine Patchwork-Decke machen will", sagt sie. Der Studentin Silke hat es ein alter Karorock angetan, der auch Schelhorn sehr gut gefällt.

"Manche Stoffe sind schon museumsreif", sagt die Ladenbesitzerin, "und die Vorbesitzer sind froh, wenn sie eine neue Verwendung finden." Die meisten Materialien stammen allerdings vom Recyclinghof und von Flohmärkten. Der Vorteil daran sei, dass sie schon so oft gewaschen wurden - die Schadstoffbelastung sei dadurch sehr gering.

Die 12-jährige Lilly hat mittlerweile einen alten blauen Gardinenstoff mit Stecknadeln abgesteckt, aus dem ein Kleid werden soll. Sie setzt sich an die Nähmaschine, die mit Ökostrom betrieben wird - das gehört zum nachhaltigen Ladenkonzept ebenso wie die Finanzabwicklung über eine Bank, die in umweltfreundliche Projekte investiert.

Selbst die Preis-Etiketten sind aus alten Postkarten oder Fotos gemacht. Die Designer nähen ihre Sachen selbst vor Ort, bei einigen Produktionen machen auch Heimarbeiter und Langzeitarbeitslose mit.

Ladenbesitzerin Schelhorn, 60, arbeitete früher als Illustratorin und Layouterin bei großen Modezeitschriften. "Als ich gesehen habe, wie die Kleidung produziert wird, war ich schockiert", erzählt sie. Auf Recyclingmode stieß sie zum ersten Mal in London, als sie den 1997 gegründeten Laden From Somewhere in der Portobello Road entdeckte.

Der Slogan am Schaufenster, "Das Neue ist eine Wiederholung des Alten" gefiel ihr - und die Grundidee, möglichst viele alte Materialien als Rohstoffe wiederzuverwerten.

Der Redesign-Laden im Hamburger Karoviertel sei entstanden, nachdem sie beim Aufräumen alte Tischdecken gefunden habe, sagt Schelhorn. Aus denen habe sie dann Schürzen gemacht und sie ihren Freunden zu Weihnachten geschenkt. Die Resonanz sei so gut gewesen, dass sie auch andere Dinge geschneidert habe.

Inzwischen steht Ladenmitbetreiberin Friederike, 25, mit der Studentin Silke am umfunktionierten Designtisch. Mit einer großen Schere schneidet die Studentin einmal mitten durch den Rock, im Anschluss trennt sie die Nähte auf, misst die Abstände für das Schnittmuster aus und zeichnet mit roter Schneiderkreide Markierungen in die Innenseite.

Mittlerweile sind die Scheiben des kleinen Ladens beschlagen, Passanten linsen immer wieder neugierig durch die Schaufenster. Zwei Frauen kommen herein und fragen, ob sie sich trotz Sonntag einmal umschauen dürften. "Oft fragen die Leute zuerst: Ist das neu oder alt?", sagt Schelhorn.

Unterdessen schneidert Anna Spitzendecken, Gardinen und ein Sakko zusammen. Die 19-Jährige möchte nach dem Abitur Modedesign studieren und schneidert zuhause gerade ihr eigenes Abiballkleid. "Wenn mich jemand fragt, von wem das ist, was ich anhabe, sage ich: von mir! Das ist ein tolles Gefühl!", sagt Anna. Sie ist schon zum zweiten Mal beim Workshop. Gekauft hat sie allerdings noch nichts.

"Für Jüngere sind manche Sachen zu teuer", sagt Schelhorn. Die Preise reichen von 12 Euro für Tragebeutel über 50 Euro für Röcke bis hin zu 170 Euro für die Pullis aus Bundeswehrdecken. Bei den eigenen Kleidungsstücken versucht die Ladenbesitzerin, die Preise so zu wählen, dass sich jeder etwas leisten kann. "Meistens entscheide ich aus dem Bauch heraus", sagt sie.

Gekauft wird meistens von den 20- bis 40-Jährigen. Viele von ihnen sind Touristen aus Skandinavien, der Schweiz oder Österreich. "Die trauen sich mehr", sagt Schelhorn. In der Regel sind es Frauen. Gelegentlich kommen aber auch Männer. Wenn am Tag fünf Teile verkauft werden, ist das gut. "Das Geld ist auch nicht so wichtig", sagt Schelhorn, "sondern der Spaß und die Idee dahinter."

Lilly kommt mit ihrem selbst gemachten Kleid aus der Umkleide. Sie schaut in den Spiegel, strahlt und behält das Kleid gleich an. Silke, die seit der Grundschule nicht mehr an einer Nähmaschine gesessen hat, ist immer noch in ihre Arbeit vertieft. "Ich hatte ganz vergessen wie entspannend Nähen sein kann", sagt sie. "Ja, dabei kann man alles um sich herum vergessen", sagt auch Anna, die ihre Decke zuhause fertig schneidern will.

Schelhorn findet es sehr schade, dass Nähen in den Schulen kaum noch auf dem Lehrplan steht. "Nähen ist schon wieder exotisch geworden", sagt sie. "Dabei ist es so gut für beide Gehirnhälften." Ihre Workshops möchte sie bald auch in Schulen anbieten. Sie wolle, sagt die Ladenbetreiberin, "Bewusstsein schaffen, wie viel und welche Arbeit eigentlich in Kleidung steckt".

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