Favre in Mönchengladbach: Ein Stratege für den Strukturwandel

Der neue Trainer Lucien Favre soll Borussia Mönchengladbach vor dem Abstieg retten. Er ist aber wohl eher der Mann für den Wiederaufbau in der zweiten Liga.

Schafft er den Klassenerhalt mit der Borussia? Lucien Favre ist neuer Trainer in Borussia Mönchengladbach. Bild: dpa

MÖNCHENGLADBACH taz | Geneigte Leser der Internetpräsenz des Express bekamen am frühen Montagmorgen eine Sensation präsentiert. "Borussia verhandelt mit Effenberg", hieß es dort. Gestützt wurde die gewagte Behauptung mit einem Zitat von Rainer Bonhof: "Wir werden etwas ganz Verrücktes machen", soll der Vizepräsident des Mönchengladbacher Bundesligisten nach der Entlassung von Trainer Michael Frontzeck gesagt haben. Der Blut-Kampf-und-Schweiß-Rhetoriker Stefan Effenberg als Trainer beim Tabellenletzten, das wäre in der Tat eine ziemlich interessante Versuchsanordnung gewesen. Doch recht schnell wurde klar, dass die Gladbacher sich für eine erheblich weniger spektakuläre Nachfolgeregelung für Frontzeck entscheiden würden. Am Nachmittag wurde Lucien Favre der Öffentlichkeit präsentiert, doch auch diese Lösung lässt sich durchaus kontrovers diskutieren.

Der Schweizer gilt als Stratege, als Mann mit Einblick in die Tiefen des Spiels. Es wird ihm nicht schwerfallen, die Schwachstellen der Mannschaft zu erkennen und die fatalen Frontzeck-Fehler zu korrigieren. Der entlassene Trainer hat sich ja 22 Spieltage lang geweigert, das völlig aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis zwischen Defensive und Offensive zu korrigieren. Praktisch jede Woche stellte Frontzeck vier Offensivspieler auf, deren mangelhafte Defensivarbeit den Rest der Mannschaft vor unlösbare Aufgaben stellte. Doch der Trainer reagierte einfach nicht, wie so oft verspielte die Borussia auch am vorigen Wochenende gegen den FC St. Pauli eine Führung und kassierte die fast schon obligatorischen drei Gegentreffer. Für dieses Problem wird Favre wahrscheinlich Lösungen finden.

Außerdem hat der Schweizer ein Auge für die langfristige Entwicklung eines Teams. Ob es ihm aber gelingt, die schwierigen Charaktere im aktuellen Gladbacher Kader zu einer harmonischen Einheit zu formen, ist eher unwahrscheinlich. Einer der Gründe für Favres Scheitern bei Hertha BSC Berlin, seinem letzten Klub, war ja, dass mit Josip Simunic, Marco Pantelic und Andreij Voronin nach dem vierten Platz 2009 die drei besten Spieler den finanzschwachen Klub verließen. Pantelics Verbleib scheiterte vor allem daran, dass Favre sich mit dem Stürmer überworfen hatte. Nun muss der Schweizer sich mit ähnlich eigensinnigen Charakteren wie Mo Idrissou, Juan Arango, Logan Bailly oder Igor de Camargo arrangieren, das Klima ist aufgeladen. Wie Favre damit klarkommt, ist eine der entscheidenden Fragen.

Allerdings hat er das Glück, dass ein Scheitern erst in zweiter Linie auf ihn zurückfiele. Wenn die Borussia absteigt, stünden Frontzeck, Sportdirektor Max Eberl und vor allem Präsident Rolf Königs in der Verantwortung. Königs regiert den Klub seit 2004, zuvor war er fünf Jahre lang Vizepräsident, und es ist ihm gelungen, Schulden abzubauen, ein neues Stadion zu errichten und Jahr für Jahr ein beachtliches Budget für die Mannschaft bereitzustellen. Doch sportlich blieb die Borussia immer ein Klub zwischen den Ligen. Und das liegt zweifelsfrei am Führungspersonal, das Königs, der offen zugibt, nichts von Fußball zu verstehen, auswählte.

Peter Pander, Christian Ziege oder Max Eberl waren als Sportdirektoren gleichermaßen erfolglos. Trotz Etats, von denen Klubs wie Mainz, Freiburg, Pauli oder Nürnberg nur träumen können, gelang es nicht, die Borussia in der Bundesliga zu etablieren, Favre ist der achte Trainer der noch nicht einmal siebenjährigen Amtszeit des Präsidenten, gegen den sich im Herbst eine Opposition formiert hat.

Die "Initiative Borussia", die einem Kreis finanzkräftiger Anhänger entstammt, strebt einen Strukturwandel an, der Verein soll professioneller, jünger und demokratischer werden. Das hört sich erst mal ziemlich gut an, aber das Kernproblem des Klubs sind nicht die Strukturen, vielmehr finden die Verantwortlichen einfach keine sportliche Leitung, die die gute wirtschaftliche Ausgangslage in die passenden Erfolge umsetzt. Und das ist eine große Chance für Lucien Favre.

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