Streit um Wahlgesetz: Juristische Ohrfeige

Experten kritisieren die Vorschläge der Kieler Landtagsfraktionen für das neue Wahlgesetz. Eine Einigung wird schwierig, denn entweder werden die kleinen oder die große Parteien benachteiligt.

Stimmenauszählung bei der letzten Landtagswahl: Aus Expertensicht sollen für die nächste Wahl die Wahlkreise verkleinert werden. Bild: dpa

KIEL taz | Vier Juristen, eine Meinung: Überraschend deutlich machten am gestrigen Mittwoch Rechtsexperten klar, was sie von den Vorschlägen halten, die die Parteien im schleswig-holsteinischen Landtag für das neue Wahlgesetz vorgelegt hatten: nämlich wenig.

Seit Monaten streiten die Fraktionen um einen Kompromiss, und nach der gestrigen Anhörung ist der nicht näher gekommen. Dabei drängt die Zeit. Das Verfassungsgericht verlangt, dass bis Mai ein neues Gesetz verabschiedet sein muss. Es ist Grundlage für die vorgezogene Neuwahl, die das Verfassungsgericht angeordnet hatte. Ein Kernpunkt soll sein, die Zahl der Abgeordneten zu begrenzen - zurzeit sitzen 95 Frauen und Männer im Hohen Haus, 69 sollten es sein, sieht die Verfassung vor.

Um diese Vorgabe zu erreichen, müsste die Zahl der Wahlkreise und damit Direktkandidaten deutlich reduziert werden, sagten die Juristen vor dem Innen- und Rechtsausschuss, und zwar weit mehr als von CDU, FDP sowie SPD geplant. Die drei Fraktionen schlagen in ihren jeweiligen Vorschlägen 35 statt 40 Wahlkreise vor.

Das reiche nicht, "dazu müssen Sie nicht kompliziert rechnen, das ist Dreisatz", sagte Rechtsanwalt Wilhelm Mecklenburg aus Pinneberg.

Nach einer Wahl müssen die Wählerstimmen in Parlamentsmandate umgerechnet werden, dafür kann das dHondtsche Verfahren angewendet werden:

Im ersten Schritt wird die Wählerstimmen-Zahl aller Parteien nach und nach durch aufsteigende Zahlen geteilt.

Die Ergebnisse dieses Bruchrechnungen werden Höchstzahlen genannt.

Jede dieser Höchstzahlen gehört zu einer Partei. Sie werden absteigend geordnet.

Die Mandate werden entsprechen dieser Reihenfolge vergeben.

Große Parteien werden tendenziell durch dieses Verfahren bevorzugt.

Die 27 Wahlkreise, die die Grünen und der SSW vorschlagen, seien immerhin ein Anfang, sagte Hans Meyer, ehemals Professor der Berliner Humboldt-Universität. Angesicht des größeren Parteienspektrum könnten "Direktmandate billig erworben werden".

Professor Florian Becker von der Kieler Universität nannte den Plan der SPD, den Wahltag in die Verfassung aufzunehmen, eine "Überfrachtung mit Trivialitäten": Sich auf einen Termin zu einigen, "muss doch auch in Schleswig-Holstein möglich sein". Und Joachim Behnke, Professor an der Universität Friedrichshafen, konterte eine Frage zum richtigen Zählsystem: "Sie brauchen sich nicht am Bund orientieren, da funktioniert es auch nicht."

Es gibt mehrere Stellschrauben, an denen sich das Wahlrecht ändern lässt. Das Problem: Sie bevorzugen oder benachteiligen kleine und große Parteien unterschiedlich. Weniger Direktkandidaten sind gut für die kleineren Parteien. Würde das Zwei-Stimmen-System abgeschafft, käme das eher den Großen zugute.

Dennoch befürwortete Hans Meyer diesen Schritt: "Das Zwei-Stimmen-Wahlrecht ist schlicht idiotisch" und erlaube "Manipulation". Eine Änderung scheint zurzeit jedoch unwahrscheinlich.

Kritik gab es auch von weiteren Experten, unter anderem vom Verein "Mehr Demokratie": Das Gericht habe dem Parlament aufgetragen, das Wahlrecht verfassungskonform zu machen.

Die Verfassung zu ändern, wie CDU, FDP und SPD es vorhaben, sei "äußerst bedenklich". Hartmut Borchert vom Steuerzahlerbund beschwor die Politik, auf die Bürger zu hören: "Es gelingt den Abgeordneten immer weniger, auf ihre Bedeutung hinzuweisen."

"Wohltuend, wie Rechtskenntnis auf Realpolitik stößt", sagte Thorsten Fürter (Grüne). Er forderte dazu auf, "schnell und konstruktiv" einen Vorschlag zu arbeiten und erneut im Ältestenrat zu beraten.

Die Grünen seien zu Verhandlungen bereit, so Fürter. Aber, so ein Abgeordneter einer Regierungsfraktion am Rande der Sitzung: "Wir brauchen für jede Änderung die Zweidrittelmehrheit. Damit kann es nur auf einen weichgespülten Vorschlag herauslaufen."

Einig waren sich alle Juristen: Das Zählsystem nach dHondt ist ungenau - und verfassungswidrig. In den Vorschlägen von CDU, FDP und SPD wird dieses Verfahren dennoch genannt. Markus Matthießen (CDU) verteidigte den Entschluss: Als probehalber das jüngste Wahlergebnis nach dem Verfahren Sainte Lague ausgezählt wurde, habe es "praktisch keine" Auswirkung gegeben.

Die Abgeordneten von Grünen und SPD protestieren, Matthießen korrigierte eilig: "Naja, um einen Sitz hat es sich verschoben." Genau diesen einen Sitz mehr als die Opposition hat Schwarz-Gelb.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.