Obama in Asien: Eine Übung in Demut

US-Präsident Obama versucht sich in Asien als ehrlicher Makler. Viele Staaten in der Region fürchten sich vor Chinas unaufhaltsamem Aufstieg.

US-Präsident Barack Obama hat die Zeichen der Zeit benannt. Als er diese Woche in Bombay mit indischen Studenten diskutierte, sprach er von seiner Gewohnheit, die USA als Wirtschaftsmacht Nummer eins zu betrachten. Er sei jetzt fünfzig Jahre alt, an der Stellung der USA als führender Volkswirtschaft der Welt habe es für ihn lange Zeit nie Zweifel gegeben.

Doch er machte er seinem indischen Publikum auch klar, dass die Zeiten sich geändert haben. "Indien steigt nicht auf. Indien ist aufgestiegen", sagte er, und ließ keinen Zweifel daran, das sowohl China als auch Indien im 21. Jahrhundert den berechtigten Anspruch hegen können, die wirtschaftliche Führungsrolle der USA zu übernehmen. Zugleich warnte er, dass die USA nur in enger Verflechtung mit den asiatischen Wachstumsökonomien ihre wirtschaftliche Dynamik zurückgewinnen könnten. Für westliche Ohren ist das immer noch ein ungewohnter Ton.

Obama erinnerte fast ein bisschen an Michail Gorbatschow - an einen, der freiwillig bereit ist, Macht abzugeben. Dabei verschließt der US-Präsident bloß seine Augen nicht vor der Wirklichkeit. Denn seit der hausgemachten US-europäischen Finanzkrise des Jahres 2008 hat sich das Zentrum des Weltwirtschaftswachstums noch deutlicher vom Westen nach Asien verschoben.

Georg Blume ist Indien-Korrespondent der taz.

Nicht einmal das überraschend starke deutsche Wachstum macht da eine echte Ausnahme, weil es ganz wesentlich von den Exporten nach Asien angetrieben wird. Das zeigt sich im Vorlauf des G-20-Gipfels in Seoul: Wie aus einem Munde kritisieren heute die Regierungen in Berlin, Peking und Tokio die expansive Fiskalpolitik der US-Zentralbank. Sie alle wollen keinen schwächeren Dollar, der ihre Exporte teurer macht und ihre Dollar-Reserven entwertet.

Die USA hat am Wirtschaftsboom in Asien wenig Anteil: Den Amerikanern fehlen die Werkzeugmaschinen und Luxuslimousinen, mit denen sich deutsche Exporteure in China eine goldene Nase verdienen. Zwar haben einzelne US-Großkonzerne wie General Electric und Microsoft ihre Strukturen rechtzeitig erweitert und riesige Forschungszentren in Bangalore und Peking aufgebaut, die Austausch und Handel mit den USA fördern. Doch volkswirtschaftlich fallen die Exporte der USA nach Asien noch auf lange Zeit kaum ins Gewicht.

Umgekehrt aber wird sich am großen asiatischen Warenfluss in die USA wenig ändern. Denn gerade jetzt, in der Krise, greifen US-Konsumenten in Supermärkten wie Walmart gerne zu chinesischer oder vietnamesische Billigware. Auch deshalb sind Entindustrialisierung und staatliche Überschuldung in den USA nur schwer zu stoppen. Das ist aber auch nicht so dramatisch, wie es manchmal klingt, denn China und Indien werden weiter Boeings bestellen und damit viele Arbeitsplätze in den USA sichern. General Motors wird mit seinem Erfolg in China auf Jahre sein Überleben in den USA gewährleisten.

Der globale Trend wird trotzdem anhalten. Auf Dauer wird das Wachstum in China und Indien deutlich höher liegen als im Westen und damit die Kräfteverhältnisse ändern. In diesem Sinne stimmt Obamas angesichts der Armut in Indien verfrüht klingende Parole vom Land, das aufgestiegen ist, dann doch. Denn Indien und erst recht China sind heute als Volkswirtschaften groß genug, um das Wirtschaftswachstum der Welt zu dominieren.

Was bisher fehlt, ist jemand, der diese tektonischen ökonomischen Verschiebungen moderiert. Aber es tut sich etwas; Obama macht dieser Tage einen neuen Anfang. Sein ökonomischer Realismus ist gepaart mit neuen politischen Ambitionen in Asien. Nicht umsonst besucht er jetzt, auf der längsten Auslandsreise seiner Amtszeit, die großen Demokratien des Kontinents: Indien, Indonesien, Südkorea und Japan. Er will ihnen vermitteln, dass die USA trotz ihrer relativen wirtschaftlichen Schwäche die wichtigste politische Vormacht in Asien bleiben - und dass ihr politisches System, die Demokratie, keine Alternative kennt.

In Delhi nahm Obama die USA und Indien gemeinsam in die Pflicht, der Welt zu beweisen, dass die Demokratie immer noch das beste System auf Erden ist. Das sollte China ärgern, weil es keine Demokratie ist - aber auch Europa, weil es in den Augen Obamas offenbar nicht mehr die Kraft hat, der Welt demokratisches Vorbild zu sein.

Nicht nur Indien ist von dieser Initiative Obamas angetan, zu übermächtig wirkt der Rivale China dieser Tage. Nachdem China seinen Ansprüchen auf die japanischen Senkaku-Inseln mit einer aggressiven nationalistischen Kampagne Luft gemacht hatte, musste Washington erst kürzlich Japans Hoheitsrechte verteidigen. Ebenso gespannt sind Chinas Beziehungen zu Vietnam, da sich beide Länder um Inseln in der südchinesischen See streiten.

Weiteres Gerangel gab es in den letzten Monaten zwischen Indien und China in Kaschmir und Tibet. Zwar ist keiner dieser Konflikte groß genug, um daraus zu schließen, dass China neue Hegemonialabsichten in Asien hegt. Doch zeigen sie, wie viele Länder Asiens sich davor fürchten, dass auf Chinas wirtschaftlichen Aufstieg die politischen Ambitionen auf dem Fuß folgen.

Gleichwohl wissen alle, dass Chinas Machtgewinn unaufhaltsam ist und der chinesischen Binnenmarkt für den ganzen Kontinent das größte Wachstumsversprechen bietet. Für alle, die USA eingeschlossen, ist China der wichtigste Handelspartner. Die wirtschaftlichen und politischen Interessen in Asien sind oft unübersichtlich und widersprüchlich. Letztlich aber geht es um den Umgang mit Chinas schnellem Aufstieg und dem langsamen Niedergang der USA.

Im Zentrum steht jetzt einmal mehr ein US-Präsident. Indiens Premierminister Manhoman Singh nannte Obama nicht umsonst den "Vater der G 20". Die G 20 wurde zwar ursprünglich zur Beilegung der Finanzkrise zum Weltgipfel aufgewertet. Doch heute liegt ihr Mandat vor allem im Management der wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den USA und Asien. Europa ist da eher Zuschauer. Und obwohl es institutionell viele gute Beispiele für Asien bietet, gerät es leicht aus dem Blickfeld.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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