Theaterdonner: Der Teufel in Lübeck

Diabolische Widersprüche in der Kulturpolitik der kleinen Hansestadt: Das Theater schafft sich selbst ab, und die Künstler schwingen sich zu Großtaten auf.

Dr. Faustus am Theater Lübeck: Florian Hacke als Teufel (r.), links: Götz van Ooyen als Zeitblom und Andreas Hutzel als Adrian Leverküh. Bild: Thorsten Wulff

Der Teufel geht in vielerlei Gestalt um. Das behauptet (nicht nur) Thomas Mann in seinem Roman "Doktor Faustus", der derzeit am Lübecker Theater gespielt wird. Die Hansestadt Lübeck vermarktet ihren großen Sohn - und setzt sich damit dem Spott von Werkkennern aus. Denn Thomas Mann hatte, um das wenigste zu sagen, ein zwiespältiges Verhältnis zur Stadt seiner Väter.

Das Theater Lübeck setzt sich ernsthafter als die Buddenbrook-Verzuckerer mit Manns Werk auseinander. In einem spielzeitübergreifenden Projekt "Wagner-trifft-Mann" führt die die Oper "Der Ring des Nibelungen" und das Schauspiel vier Romanadaptionen auf: "Buddenbrooks", "Der Zauberberg", "Felix Krull" und, womit das Projekt am Sonntag vollendet wurde, "Doktor Faustus".

Für das Projekt spannt das Theater, dessen finanzielle Lage seit Jahren prekärer wird, seine Kräfte an. Das Haus ist downgegradet worden. Während es sich unter seinem Alt-Intendanten Hans Thoenies stolz "Bühne der Hansestadt Lübeck" nannte, heißt es jetzt nur noch "Theater Lübeck GmbH". Und es hat auch keinen "Generalintendanten" mehr an der Spitze, sondern einen "Geschäftsführenden Theaterdirektor".

Das Theater wurde 1908 im Jugendstil errichtet. Der Architekt war Martin Dülfer aus Dresden, als Sponsor trat Emil Possehl auf.

Eine umfassende Sanierung erfolgte in den 1990er Jahren.

Finanzierung: Das Land Schleswig-Holstein unterstützt das Theater über den kommunalen Finanzausgleich.

Rückgang: Während von 1995 an bis 2004 die Zuweisungen langsam aber stetig stiegen, gingen sie 2005 um über eine Million Euro zurück.

Argument: Das Land begründete dies mit den "Kürzungen des städtischen Beitrags", das Land zahle nicht mehr als 60 Prozent.

Frost: 2009 wurde die Zuweisung des Landes bei 9, 8 Millionen Euro eingefroren, die Stadt trägt 6,6 Millionen Euro zum Etat des Theaters bei.

Lübecks Theaterchef Christian Schwandt sei "auf Umwegen zum Theater" gekommen, schrieben die Lübecker Nachrichten. Schwandt hat in Hamburg und Tokio Volkswirtschaft, Japanologie und Literaturwissenschaft studiert und war Geschäftsführer einer Hamburger Steuerberater- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Bislang ist es üblich, dass an die Spitze einer Bühne ein/e KünstlerIn gehört, meistens ein/e RegisseurIn oder ein/e DramaturgIn

Gleich nach seiner Berufung nannten die Lübecker Nachrichten den derzeitigen Amtsinhaber Christian Schwandt einen "Volkswirt". Tatsächlich schreibt Schwandt wie ein Sparkommissar. Zur Begrüßung dieser Spielzeit droht er den "Freundinnen und Freunden des Theaters und Orchesters", nachdem er diplomatisch auf die desaströse Finanzlage des Landes Schleswig-Holstein und Lübecks hingewiesen hat: "Konsolidierung ist der unausweichlich vorgezeichnete Weg." In einem Betrieb, in dem Menschen "nicht durch Maschinen ersetzbar" seien, bliebe nur die Möglichkeit, "Arbeitsabläufe noch weiter zu optimieren".

Roman Brogil-Sacher, Operndirektor und GMD, schreit laut auf, denn der Etat wurde um 23 Prozent gekürzt. Künftig wird es im Musiktheater nicht mehr acht, sondern nur noch sieben Neuproduktionen geben. Dies "sowie ein weiterer empfindlicher Rückgang der Vorstellungszahlen" findet der Operndirektor "sehr schmerzlich".

Schwandt hat schon angedeutet, was er unter der neoliberalen Vokabel "Optimierung" versteht: Der Vorstellungsbetrieb soll stärker vom Probenbetrieb getrennt werden. Er wolle "künftig donnerstags bis sonntags den Vorstellungsbetrieb intensivieren und dafür Montag bis Mittwoch vorwiegend der Probenarbeit vorbehalten". Die Bude bleibt öfter dunkel.

Der Teufel auf der Bühne

Während der Sparkommissar das Büro des Intendanten besetzt hält, arbeiten die Künstler wie besessen. "Der Ring des Nibelungen" ist für ein mittleres Theater ein Kraftakt, der alle Energien anspannt, natürlich auch die der Werkstätten. Gleichzeitig noch das Schauspiel, das jetzt mit der Uraufführung von "Doktor Faustus" ebenfalls eine Tetralogie vollendete hat.

John von Düffel hat den Roman für die Bühne adaptiert, wobei er nicht nur das Wesentliche der Handlung und der Botschaft bewahrt, sondern auch Thomas Manns hohen Ton. Regisseur Pit Holzwart schaffte es allerdings nicht, den Zusammenhang zwischen Kunst und Nationalsozialismus sichtbar zu machen, um den es Thomas Mann in seinem antifaschistischen Roman geht. Dabei ist das Thema höchst aktuell. Leute, die sich wie Doktor Faustus - im Roman der Tonsetzer Adrian Leverkühn - zur Elite zählen und keine soziale Verantwortung mehr übernehmen, leisten nach Thomas Manns Ansicht einer Entwicklung hin zur Diktatur, zum Verlust von Humanität und zu politischen Verbrechen Vorschub. Diese Elitekritik wirkt wie für heute geschrieben, wo der Begriff wieder positiv konnotiert wird.

Diabolischer Widerspruch

Pit Holzwarth, Lübecks Schauspielchef, ist ein Mann des Volkstheaters, ein Regisseur, der seine Sporen bei der Bremer Shakespeare Company verdient hat. Er ist ein leidenschaftlicher Regisseur, der Geld durch Phantasie ersetzen kann. Aber seine Schauspieler natürlich anständig bezahlen will. Deswegen kritisiert er scharf die gegenwärtige Lage: "Nachdem das Kartenhaus des Kapitalismus zusammengebrochen ist, sollen jetzt die Kommunen ausbluten und die Zeche der wildgewordenen Playboys der Banken bezahlen."

In seiner jetzt vierten Spielzeit gehe um den "Kampf des Menschen gegen die disziplinierenden Kräfte einer totalen Geldwirtschaft", sagt Holzwarth. Neben Thomas Mann hat er in dieser Spielzeit Brechts "Heiliger Johanna der Schlachthöfe" gewählt. Schließlich sei das Theater "Teil der Freiheits- und Demokratiebewegung in Deutschland". Aber wie kann Holzwarth da unter einem Theaterleiter arbeiten, der die Geschäfte so führt, wie er es offen androht?

Das Theater schafft sich selbst ab, der Direktor exekutiert die Imperative der Möchtegernsparer - und die Künstler antworten nicht mit Protest, Streik, Lähmung oder Ermattung - sie schwingen sich zu Großtaten auf. Sehr sympathisch, aber fatal. Denn die neoliberalen Möchtegern-Haushaltssanierer, die ja tatsächlich immer mehr Schulden aufhäufen, triumphieren: Na, also, es geht doch! So gut wart ihr lange nicht!

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