Deutschland schiebt Flüchtling ab: Raus nach Afghanistan

Afghanistan ist für Zivilisten lebensgefährlich. Trotzdem schiebt die Bundesrepublik einen Flüchtling ab, der in Deutschland nicht straffällig geworden war.

Szene in der Stadt Herat kurz nach einer Bombenexplosion am 17. September: Afghanistan ist für Zivilisten lebensgefährlich. Bild: dapd

BERLIN taz | Als Flug FG 706 der Ariana Afghan Airlines am letzten Freitag um 20 Uhr vom Frankfurter Flughafen abhob, nahm für Ahmad P. eine turbulente Geschichte ihr vorläufiges Ende. Freiwillig saß P. nicht in der Maschine mit Ziel Kabul. Seine Reise nach Afghanistan war eine "aufenthaltsbeendende Maßnahme", durchgeführt von der Zentralen Rückführungsstelle Südbayern, veranlasst durch das Ausländeramt der Stadt Passau.

Es ist das erste Mal in den vergangenen Jahren, dass bekannt wird: Die Bundesrepublik Deutschland schiebt Flüchtlinge, die nicht straffällig geworden sind, nach Afghanistan ab. Laut bayerischem Innenministerium wurde am selben Tag wie P. eine weitere Person nach Afghanistan abgeschoben. Insgesamt hat es 2010 damit drei Abschiebungen aus Bayern gegeben, im Jahr 2009 waren es zwei, 2008 eine.

Ahmad P. war 2008 als Deserteur, der seinen Dienst in der afghanischen Armee quittiert hatte, nach Deutschland gekommen. So hat es der bayerische Flüchtlingsrat erfahren. Seinen Asylantrag begründete er mit der Angst, im Kampfeinsatz zu sterben. Am 2. November 2009 wurde der Antrag abgelehnt. Dagegen wehrte sich P. vor dem Verwaltungsgericht Regensburg und zuletzt im Juni vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, beide Male erfolglos. P. lebte aber weiter mit einer Duldung in Passau.

Ein Angebot zur freiwilligen Ausreise lehnte er ab; am 24. August wurde er in Abschiebehaft genommen. Am 7. September sollte die Abschiebung nach Afghanistan erfolgen. Doch nachdem ihn Beamte der Bundespolizei in ein Flugzeug der Safi Airways gesetzt hatten, türmte Ahmad P. kurz vor dem Start aus dem Flieger und rannte auf das Rollfeld. Bundespolizisten stellten ihn nur wenig später. Der zweite Versuch, P. nach Afghanistan abzuschieben, war am vergangenen Freitag dann erfolgreich.

"Es ist menschenverachtend, dass trotz der dramatisch zugespitzten Sicherheitslage nach Afghanistan abgeschoben wird", sagt Tobias Klaus vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Die Zahl der zivilen Opfer im Land sind nach UN-Angaben in der ersten Jahreshälfte um fast ein Drittel gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. 1.270 Todesopfer und fast 2.000 Verletzte sind dokumentiert, die Dunkelziffer dürfte aber erheblich höher liegen. Laut Amnesty International führen die Taliban und andere Aufständische immer systematischer Tötungen von Zivilisten durch.

3.657 Flüchtlinge aus Afghanistan haben sich 2010 in Deutschland um Asyl beworben, das sind bereits mehr als im gesamten Jahr 2009 und mehr als fünf Mal so viele wie 2008. Seit 2005 gilt für die Rückführung der Afghanen eine Richtlinie der Innenministerkonferenz. Danach soll die freiwillige Rückkehr im Vordergrund stehen, ansonsten seien bevorzugt straffällig gewordene Flüchtlinge und "volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige" abgeschoben werden. Einzelfälle werden jedoch zumeist vor den Gerichten entschieden. "Es gibt eine sehr kleinteilige Rechtsprechung", sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.

Memet Kilic, integrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, hält es für "fatal", dass überhaupt noch Flüchtlinge in Konfliktstaaten wie Irak und Afghanistan abgeschoben werden. "Es sollte einen generellen Abschiebestopp für diese Länder geben", meint Kilic. Deutschland habe eine erhöhte Verantwortung gegenüber Flüchtlingen aus Afghanistan. "Schließlich sind Bundeswehrsoldaten dort mit beteiligt."

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