Insolvente Verbraucher im Fernsehen: Die Krise als Drama

Die ARD zeigt einen Film über Verbraucherinsolvenzen. Dabei geht es der Autorin Tina Soliman mehr um Küchenpsychologie als um nüchterne Erklärungen.

Es ist Krise, Zeit der Pleiten, der großen und der kleinen. Der Hypo Real Estate hilft der Staat aus der Klemme, dem Verbraucher hilft manchmal nur noch die Verbraucherinsolvenz. Weit mehr als 100.000 Fälle solcher Verbraucherinsolvenzen hat es im vergangenen Jahr in Deutschland gegeben. Grund genug für die ARD, dem Thema einen Film zu widmen.

Fünf Menschen berichten ihre Erfahrungen: „Sie sind pleite. Sie haben einen Fehler gemacht oder sind Opfer des Scheiterns anderer geworden, gerieten in den Strudel der Überschuldung und sind heute insolvent. Damit hat ihr Leben eine dramatische Wendung genommen. Es ist die Geschichte dessen, was sie einmal waren und dessen, was sie wurden.“

So tönt es im vertrauten, immer etwas plakativen Jargon des öffentlich-rechtlichen Magazin-Dokumentarismus à la Panorama oder Kontraste. Das kommt nicht von ungefähr, für diese und andere Formate hat die Autorin Tina Soliman in den vergangenen 20 Jahren eine Reihe von Beiträgen gefertigt. Sie ist Fernsehprofi, es kann ihr natürlich nicht etwa darum gehen, den juristischen Komplex der Verbraucherinsolvenz sachlich und differenziert, detailliert aber gemeinverständlich darzustellen. Trockenes Thema, emotionaler Kern.

Soliman setzt also auf die so genannten Schicksale, die dahinter stehen. Auf die Menschen, auf deren individuelle leidvolle Erfahrung mit dem Konkurs, wie es früher einmal hieß, mit der Insolvenz, wie es laut Gesetz seit 1999 heißen soll, mit der Pleite, wie es umgangssprachlich noch heute heißt.

Selbstverständlich kann es niemanden kalt lassen, wenn die Protagonisten des Films erzählen, was es heißt, wenn man plötzlich mit 200 Euro im Monat auskommen muss; was es heißt, wenn man den Kindern nicht mehr die gewohnten Markenklamotten kaufen kann, sich selbst nicht einmal mehr einen Lippenstift; was es heißt, wenn man sich schämt und nicht einmal den eigenen Eltern zu offenbaren wagt; was es heißt, wenn man Frau und Kind verliert und außerdem die Wohnung: „Drei lehre Pfandflaschen machen eine Packung Nudeln. Sieben leere Pfandflaschen machen das dazugehörige Tomatenmark und Gemüse.“

Das sitzt. Und würde schon reichen. Soliman geht aber lieber auf Nummer sicher und schiebt im Off-Kommentar ihre Kenntnisse der Küchenpsychologie nach: „Scham ist nicht sichtbar, jedoch spürbar. Frisst von innen auf.“ Oder: „Doch man kann die Baustellen der Vergangenheit nicht umfahren – das Erlebte läuft immer mit.“ Die schönste Stilblüte des Films geht so: „In England gibt es eine andere Kultur des Scheiterns – eine, die zukunftsgerichtet ist.“

Dabei ist der Sachverhalt, auf den die Formulierung hinweist, durchaus bemerkenswert. Es gibt tatsächlich so etwas wie einen Insolvenztourismus über den Kanal, weil dort die Befreiung von allen Schulden – die „Restschuldbefreiung“ – schon nach einem Jahr winkt. Hierzulande bedarf es dafür einer sechs entbehrungsreiche Jahre dauernden „Wohlverhaltensphase“. Einer von Solimans Protagonisten hat sich für die englische Lösung entschieden.

Für andere, für eine gebürtige Engländerin gar, ist es nicht zuletzt eine Frage der Ehre, die Gläubiger nicht ganz im Regen stehen zu lassen. Auch das kann eine ernüchternde Erfahrung sein. Besagte Engländerin rechnet vor, dass von 184.000 von ihr während der Wohlverhaltensphase erwirtschafteten Euro 1.000 an die Gläubiger gingen – und 60.000 an den Insolvenzverwalter. Nicht schlecht, und sein Job ist außerdem krisensicher.

Die Dokumentation heißt im Untertitel „Wege aus der Krise“. Es ist natürlich kein Zufall, wenn alle Porträtierten zum Entstehungszeitpunkt des Films die Phase der tiefsten Verzweiflung – deren anschaulicher Schilderung die Autorin den größten Raum gibt – bereits hinter sich gelassen haben. Am Ende des Films blicken alle wieder optimistisch in die Zukunft, sehen Licht am Ende des Tunnels. Tina Soliman ist wie gesagt Fernsehprofi. Sie kennt die Konventionen des Storytelling.

„Pleite – und jetzt? Wege aus der Krise“, ARD, Mi. 22.9., 21.45 Uhr

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