Unterschiedliche Brüder über ihre Clubs: Familienfehde Fußball

Die beiden Hamburger Andreas und Matthias Stelly sind Brüder. Und sie sind Fußballfans - von verschiedenen Clubs. Wenn der FC St. Pauli und der Hamburger SV am Sonntag aufeinandertreffen, wird das zu einer Probe für die Familienharmonie.

Haben sich vorm Derby am Millerntor nicht viel zu sagen: HSV-Fan Matthias Stelly (l.) und sein Bruder Andreas, der zu St. Pauli hält. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Andreas und Matthias Stelly, wie hat es angefangen mit dem Fußball?

Andreas Stelly: Der Vater ist ein doller HSV-Fan, entwickelt aber auch gewisse Sympathien für den FC St. Pauli. Mit ihm bin ich zum ersten Mal ins Stadion. Es war das Volkspark-Stadion.

Matthias Stelly: Auch ich war zum ersten Mal mit dem Vater im Stadion. Ein 2:0 gegen Frankfurt. Das war die große Zeit des HSV, Ende der Siebziger. Das hat geprägt. Entscheidend war das letzte Spiel der Saison 1982/83 in Gelsenkirchen. Der HSV wurde Deutscher Meister durch ein 2:1.

Andreas: Wann war euer letzter Titel?

Andreas, wie sind Sie, mit einem HSV-Vater, zu St. Pauli gekommen?

Andreas: Das war Ende der Achtziger. Ich bin in Hamburg in die Schule gegangen, hatte einen neuen Freundeskreis, und bin ans Millerntor gegangen. Heute fahre ich auch gerne zu Auswärtsspielen. Der älteste Freund meines Vaters, seit 60 Jahren St. Pauli-Fan, sitzt ein paar Reihen hinter mir und erzählt meinem Vater nach jedem Heimspiel: "Dein Sohn war wieder außer Rand und Band."

Matthias: Der hat recht.

Hat der große Bruder versucht den kleinen zu indoktrinieren?

arbeitet als Prozess- und Qualitätsmanager und ist mit einer Lehrerin verheiratet. Er spielte als Jugendlicher als Verteidiger beim HSV, heute als "Manndecker" in einer Freizeitmannschaft. ---------------

Mitinhaber einer Firma für Kongresstechnik, verheiratet mit einer Lehrerin, ist Dauerkarteninhaber für die Heimspiele des FC St. Pauli und fährt auch auswärts gern mit.

Andreas: Ich habe immer respektiert, dass er seinem Verein die Treue hält.

Matthias: Im Gegenteil hat das Beharren von Andreas, dass der FC St. Pauli der einzige, der bessere Verein ist, mich bestärkt, zum HSV zu halten.

Freuen Sie sich, wenn der andere Club verliert?

Matthias: Grundsätzlich nicht. Ich wünsche mir nur, dass wir am Ende vor dem Totenkopf stehen, sonst kann ich den Spott nicht ertragen.

Andreas: Ist für mich nicht wichtig. Nur auf dem Rathaus-Balkon will ich sie nicht sehen.

Gab es manchmal Streit in der Familie wegen Fußball?

Matthias: Wir sind eine relativ harmoniesüchtige Familie. Wir finden meist den richtigen Zeitpunkt, um aufzuhören. Andreas hat zwei Karten fürs Derby. Mich hat seine Reaktion enttäuscht, als ich ihn gefragt habe, ob ich die eine Karte bekommen kann.

Andreas: Ich will lieber einen von unseren Leuten mitnehmen.

Matthias: Aber ich bin dein Bruder.

Andreas: Beim Fußball gibt es latente Verspannungen zwischen uns.

Matthias: Vater hat versucht, auf unsere Kinder Einfluss zu nehmen.

Andreas: Ja, das war vor allem 2006 einfach, als der eine Club in der Bundesliga spielte, und der andere in der Regionalliga. Bis heute geblieben ist ein HSV-Portemonnaie, in dem das Taschengeld gesammelt wird. Das tut weh.

Matthias: Beim letzten Derby haben wir noch gemeinsam gefrühstückt, das hab ich auch diesmal vorgeschlagen. Keine große Resonanz. Eine meiner ältesten Kumpels, ein Braun-Weißer, sagte mir: "Das geht diesmal nicht."

Andreas: Ich glaube, er hat recht.

Welche Spielweise gefällt Ihnen?

Andreas: Bevor Holger Stanislawski Trainer wurde, kannten wir das gar nicht: Direktes, schnelles Kurzpassspiel bis vors gegnerische Tor. Was habe ich früher über Florian Bruns geschimpft und wie hat der sich entwickelt. Ich bin ein großer Fan dieser Spielweise.

Matthias: Ich mag es auch lieber, wenn es nach vorne geht.

Gibt es was, was Euch beim anderen Verein gefällt?

Matthias: Euer Jahrhunderttrikot fand ich hübsch. Ich finde es schade, dass es vom HSV keine klaren Statements gibt zu rassistischen und sexistischen Äußerungen im Stadion. Wie das bei St. Pauli geregelt ist, finde ich gut.

Andreas:

Was stinkt Euch am anderen Club am meisten?

Matthias: Das Instrumentalisieren des Status des charmanten Underdogs. Da verkaufen sie sich selbst. Und der Drink "Kalte Muschi" - das geht gar nicht.

Andreas: Da musst du aber beim HSV einiges hinterfragen. Mir missfällt die Arroganz des HSV im Auftreten, das Weltmännische, Großkotzige. Der einzige, der ewige Deutsche Meister der Stadt, das tollste Stadion, die geilsten Sponsoren. Da fühle ich mich nicht wohl.

Geht die Rivalität der Clubs auf soziale Unterschiede zurück?

Andreas: Ich glaube schon. Zum HSV kommen viele Zuschauer wegen des Events, deshalb ist das Stadion voll. Ich habe einen Bekannten, der arbeitet in einer Anwaltskanzlei, die hatten immer Business-Seats bei den Rothosen. Der hat jetzt fünf Business-Seats bei uns gekauft. Das gab es bisher nicht. Für die Atmosphäre im Stadion ist das gefährlich. Der HSV hat ein größeres Einzugsgebiet, ein anderes Umfeld als wir. Bei St. Pauli sorgt die Bindung an den Stadtteil für eine Verbindung der Fans untereinander und zum Verein. Ich denke, die Unterschiede zum HSV sind groß und die Schnittmenge ist klein.

Matthias: Beim HSV gibt es die Pfeffersäcke, aber es gibt auch die Vorstädter und die aus der Stadt, die mit denen viel gemeinsam haben, die man so "St. Pauli-Zecken" nennt. Da hängt es von der Sozialisation ab, für welchen Club ich mich entscheide.

Ist die Kommerzialisierung ein Problem für Sie?

Andreas: Wie heißt euer Stadion? Ich will auch Ecken nicht vom Reifenhändler präsentiert haben und Einwürfe vom Copyshop. Wir würden nie den Stadionnamen verkaufen. Vielleicht würde es einer versuchen, aber es würde nicht klappen. So wie mit dem "Millerntaler". Bei uns im Verein gibt es einige, die würden am liebsten die Vermarktung sein lassen, und in der Verbandsliga spielen. Der Grat, auf dem sich St. Pauli da bewegt, ist schmal. Sehr schmal.

Matthias: Das ist ein Problem beim HSV. Klar. Der Investor Kühne, der ständig wechselnde Stadionname, Präsident Bernd Hoffmann und die Findung einer Balance zwischen rational unternehmerischen Entscheidungen und eher emotionalen Fananliegen …

Wem gehört die Stadt?

Matthias: Alles bis auf St. Pauli und das Karoviertel gehören dem HSV.

Andreas: Das, was Hamburg ausmacht: der Hafen, die Kräne, die Lichter, der Kiez, die Elbe, das gehört den Braun-Weißen.

Matthias: Das sehe ich nicht.

Und am Sonntag?

Matthias: Am Millerntor gewinnen wir, doch mein Bauch sagt mir, im Rückspiel geben wir einen Punkt ab.

Andreas: Ein packendes Spiel und keine Randale.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.