Debatte Unser Israel (10): Krieg der Worte

Die Nahostdebatte stellt Europas Juden vor ein Dilemma. Denn sie ist eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

Nahostdebatten sind immer der Garant für ein tiefes Unbehagen - egal, ob es sich um Kritik an Israel oder um dessen Lob handelt. Denn es ist eine Debatte, in der jeder sich im Besitz der Wahrheit und dem Blick aufs Ganze glaubt und die oft zutiefst dogmatisch und häufig emotional geführt wird. Auch diese taz-Debatte entgeht dem nicht.

Aber ist eine Ausgewogenheit wie jene von Armin Pfahl-Traughber (taz vom 16. 7.), der zwischen unangemessener, einseitiger und differenzierter Kritik unterscheidet, nicht die Lösung? Braucht es einfach nur Vernunft und eine vorurteilslose Betrachtung der Fakten? Liegt der Ausweg also darin, nicht Partei zu ergreifen? Das klingt gut - und steht doch auf verlorenem Posten. Denn jede dieser Debatten ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Und die Logik des Krieges besteht nun mal darin, nur eindeutige Positionen zu kennen: Freund oder Feind. Diese Logik hat etwas Unentrinnbares. Den Standpunkt des anderen einbeziehen gilt ihr schon als Parteinahme und Verrat - darin unterscheiden sich Palästinenserfreunde nicht von Israelfreunden.

Diese kriegerische Diskurslogik wird verstärkt durch die Ambivalenz, der alle Fakten unterliegen. So sind alle Opfer- und Täterzuschreibungen uneindeutig und relativierbar. Auch dieser Satz kann natürlich gegen mich verwendet werden: Sind denn die Palästinenser in diesem Konflikt nicht die einzigen, wirklichen Opfer? Ab Eintritt in die Debatte gilt: Von nun an kann alles gegen dich verwendet werden. Verhaftet im Diskurs gewissermaßen. Ambivalent ist aber auch die Rolle Ahmadinedschads: So kann sie ein Vorwand für israelische Aggression sein, wie Daniel Bax (taz vom 27. 7.) schrieb. Gleichzeitig stellt er aber auch eine reale Bedrohung dar. Die Fakten sprechen also nicht für sich.

Neutralität ist unmöglich

Das zweite Moment, das den Kriegsdiskurs verschärft, ist die hohe Emotionalität, die dieses Thema unweigerlich hervorruft, und zwar auch bei vielen "neutralen" Betrachtern. Anders gesagt: Es gibt hier keine Neutralität. Woher diese hochgradige Emotionalisierung rührt, die weder von der eigenen Zugehörigkeit bestimmt ist (Israelis können vehemente Kritiker der israelischen Besatzungspolitik sein) noch von der realen Involviertheit (wie bei europäischen Beobachtern), lässt sich nicht allein durch die Fakten erklären. Weitaus schlimmere Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen erreichen nicht annähernde Werte auf der Emotionsskala.

Dass dieser Konflikt auch und gerade für viele Europäer der zentrale Weltkonflikt ist, liegt eher daran, dass "Israel" zu einem Herrensignifikanten geworden ist - zu einem Symbol, das eine klare Spaltung hervorruft: ja oder nein, dafür oder dagegen. Es ist nicht mehr das Konzept der Klasse, das solches bewirkt, auch nicht die Kategorie "Jude". Heute spaltet dieses kleine Land im Nahen Osten, wohin die europäische Judenfrage exportiert wurde, in Europa die Gemüter.

Vom Sabre zum Security-Guy

Insofern hat Israel einen Sonderstatus für den europäischen Betrachter, noch mehr aber für die kleine Zahl verbliebener europäischer Juden. Früher galten Juden, die nicht in Israel lebten, vorwiegend als links. Seit rund zehn Jahren hat sich dieses Bild verschoben und ein wesentlich konservativerer Typus wurde stilbildend: der Typus des neuen Israelapologeten. Waren die Zionisten alten Typs Verfechter eines solidarischen Kibbuzisraels, so sind diese neuen Zionisten, die heute den jüdischen Mainstream in Europa bilden, Verfechter einer israelischen Politik, die auf militärische Stärke setzt. Jede Zeit hat gewissermaßen ihr Israelbild. Und das Bild des sympathischen "Sabres", der wie die gleichnamige Kaktusfrucht ist - außen stachelig, aber mit einem weichen Kern -, wurde abgelöst vom Bild des durchtrainierten, schwerbewaffneten Higthtech-Soldaten oder Security Guy.

Die europäischen Followers dieses Typus haben ein eindeutiges und unkompliziertes Verhältnis zu Israel, aus dem sie ihre Identität beziehen: Sie unterstützen und verteidigen es unhinterfragt. Für alle anderen europäischen Juden ist dieses Verhältnis ungleich komplizierter. Sie haben eine besondere Beziehung zu dem Land, das sich als "Judenstaat" definiert. Aus dieser folgen aber nicht nur eine erhöhte Sensibilität für dessen Probleme, sondern auch eine verschärfte Kritik an den politischen Verhältnissen ebendort. Es gibt eine vehemente Kritik europäischer Juden an der israelischen Besatzungspolitik und deren ebenso vehemente Zurückweisung durch die Israelapologeten. Anders gesagt: Auch der innerjüdische Diskurs entgeht der Kriegslogik nicht.

Von außen wird europäischen Juden oft eine selbstverständliche Nähe zu Israel bis hin zur Stellvertreterfunktion unterstellt. In Wahrheit ist das aber gar nicht so einfach. Denn die Staatswerdung - und das ist vielleicht der springende Punkt - bedeutete ja die Entstehung eines ganz neuen Judentums, das sich deutlich von Diasporajudentum unterschied.

Spaltung des Judentums

Heute bricht diese Differenz wieder auf und spaltet das gesamte Judentum in Apologeten und Kritiker der israelischen Sicherheitspolitik. Eine Spaltung, die sich nicht geografisch festmachen lässt: Sie findet sich in der europäischen Diaspora ebenso wie in Israel. Heute finden sich innerhalb des Judentums ebenso "Diaspora-Israelis" wie "israelische Europäer".

Während die Israelapologeten im Vorteil einer eindeutigen und insofern einfachen Position in diesem Konflikt sind, haben die Diasporajuden das Problem einer besonderen Zerrissenheit: jener zwischen Emotion und Überzeugung. Hängen die Gefühle - in wie gebrochener Form auch immer - an dem Staat Israel, so stehen die politischen, menschenrechtlichen Überzeugungen immer wieder quer dazu.

Wie sich diese Gemengelage äußert? Indem die eigene Position je nach Kontext wechselt: Gegenüber Palästinenserfreunden wird man den israelischen Standpunkt vertreten, während man Israelapologeten gegenüber die Rechte der Palästinenser moniert. Das ist keine Ausgewogenheit und keine Äquidistanz, sondern ein Positionswechsel, der sowohl die eigene Zerrissenheit spiegelt als auch die Unmöglichkeit, über den Nahostkonflikt zu sprechen.

Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": In Reichweite der Raketen von Chaim Noll, Kritik ist nicht gleich Kritik von Armin Pfahl-Traughber, Gottes verheißenes Land von Georg Baltissen, Das Gespenst des Zionismus von Klaus Hillenbrand, Eine komplizierte Geschichte von Micha Brumlik, Keine innere Angelegenheit von Tsafrir Chohen, Deutsche nach Gaza? von Muriel Asseburg und Feiger Hass von Stephan Kramer.

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