Paraguay vor dem Viertelfinale: Die Dauerläufer der Herzen

Paraguay will Geschichte schreiben und gegen ein scheinbar übermächtiges Spanien das WM-Halbfinale erreichen. Dazu aber müssten die Stürmer nicht nur rennen, sondern endlich einmal treffen.

"Defensiv bis zur Schamgrenze": Larissa Riquelme hat für den Einzug ins Halbfinale ein Striptease versprochen. Bild: reuters

KAPSTADT taz | Es sind wichtige Tage für Paraguay. Zum ersten Mal spielt der kleine Staat, erdrückt und oft vergessen zwischen seinen Nachbarn Brasilien und Argentinien, das Viertelfinale einer Fußballweltmeisterschaft. Damit nicht genug, stellt man auch das prominenteste Luder des Turniers.

Die junge Larissa Riquelme bringt es fast täglich auf die Boulevardseiten dieser Welt, mal steckt sie sich beim Public Viewing ihr Handy in den Ausschnitt, dann erklärt sie, bei einem Einzug ins Halbfinale werde sie auf der Plaza de la Democracia in der Hauptstadt Asunción einen Striptease hinlegen. Detailliert werden die Paraguayer informiert über jedes internationale Kompliment für ihr Busenwunder. Zuletzt erfuhren sie, dass sie jetzt sogar ein Jobangebot aus Spanien habe.

Ob man in der Liga des heutigen Gegners weitere ihrer kickenden Landsleute neben Torwart Justo Villar (Real Valladolid) importieren möchte, ist dagegen eher zweifelhaft. Mit Lob aus dem Ausland ist es für die Fußballer nicht weit her. Seit dem unansehnlichen Achtelfinale gegen Japan haftet Paraguay endgültig das Image der Griechen Südamerikas an. "Mit Angst vor dem Ball und defensiv bis zur Schamgrenze", schrieb eine spanische Zeitung, und die Empirie haben solche Kritiker durchaus auf ihrer Seite. Aus dem Spiel heraus hat Paraguay seit 215 Minuten keinen Treffer mehr geschossen. Von allen Viertelfinalisten hat es die wenigsten Torversuche zustande gebracht (54), dafür die meisten Fouls begangen (72). Und während die Argentinier bislang nur 393 Kilometer gerannt sind, stehen bei Paraguay bereits über 445 Kilometer auf der Anzeige. Bei den einen läuft der Ball, bei den anderen sind es die Beine.

Legitime Mittel eines Außenseiters, mit denen Paraguay schon manchen Favoriten zu Zitterpartien gezwungen hat, wie 1998 die Franzosen oder 2002 die Deutschen. Der Unterschied ist, dass dieses Mal eigentlich alles anders werden sollte. In der südamerikanischen Qualifikation, die man so stabil bestand wie kein anderes Team, zeigte sich ein mutigeres, offensiveres Paraguay. Beim 2:0 gegen die Slowakei im zweiten Spiel war davon einiges zu sehen, in den drei Remis gegen Italien (1:1), Neuseeland (0:0) und Japan eher nicht. Da klingt es wie ein schlechter Witz, wenn der füllige Extorwart José Luis Chilavert vom "besten Angriff in der Geschichte Paraguays" spricht.

Dabei hat er eigentlich vollkommen recht: Óscar Cardozo wurde in der abgelaufenen Saison portugiesischer Torschützenkönig und traf neunmal in der Europa League. Der eingebürgerte Argentinier und "Welttorjäger" des Vorjahres, Lucas Barrios, mischte mit 19 Treffern für Borussia Dortmund die Bundesliga auf. Roque Santa Cruz war Manchester City letzten Sommer 21 Millionen Euro wert und Barrios' Vereinskollege Nelson Váldez ist auch kein ganz Schlechter. Indes: Ein Tor hat hier aus diesem Quartett noch keiner geschossen.

"Wir sollten nicht zu hart mit ihnen sein", beschwichtigt Nationaltrainer Gerardo Martino. Der Argentinier, eigentlich ein Anhänger offensiven Fußballs, verortet das Problem eher im Mittelfeld, wo er weit weniger Qualität zur Verfügung stehen hat. Cristian Riveros, Enrique Vera oder Víctor Cáceres spielen nicht in Europa, sondern in Mexiko, Ecuador und zu Hause in Paraguay. Ihre Stärke ist Zerstören, nicht Kreieren. Das Spiel sinnvoll gestalten kann dieses Paraguay nicht wirklich, da kommt der angriffslustige Europameister gerade recht. "Ich hoffe, dass Spanien es uns erlaubt, anders zu spielen, sodass wir nicht die ganze Zeit die Initiative übernehmen müssen", sagt Martino - und kündigt weitere Dauerläufe an: "Ich weiß nicht, ob andere Mannschaften auch so viel Herz haben wie Paraguay."

Sollte der Mauerbau von Johannesburg heute zu einem sensationellen Erfolg führen, werden die Spieler das wohl auch in anderer Hinsicht wieder unter Beweis stellen. Nach dem letzten verwandelten Elfmeter gegen Japan beteten sie für Salvador Cabañas, ihren besten Stürmer der Qualifikation, dem vor fünf Monaten in einer Bar von Mexiko-Stadt eine Kugel in den Kopf gejagt worden war.

Cabañas ist inzwischen auf dem Weg der Besserung; aus einer Rehaklinik in Buenos Aires verfolgte er den Viertelfinaleinzug. "Er schrie und sprang herum", berichtete sein Agent, "und er freut sich, dass sich die anderen noch an ihn erinnern." Um ihn zu vergessen, wären die Tore seiner Nachfolger allerdings auch zu selten.

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