Fußball als Staatsaffäre: "Eine neue Form der Kriegsführung"

Noch nie ist eine Fußball-WM in so vielen Ländern zu einer Staatsaffäre geworden wie diesmal. Die Sehnsucht nach Gemeinschaftsgefühlen wird vom Fußball bestens erfüllt.

Bundeskanzlerin Merkel und der Britische Premier Cameron schauen das Achtelfinale zwischen Deutschland und England: Pflichtprogramm im Erfolgsfall. Bild: ap

KAPSTADT dpa | Frankreichs Sportministerin Roselyn Bachelot brachte es auf den Punkt: "Die Spieler haben das Image Frankreichs angekratzt. Sie können nicht länger die Helden unserer Kinder sein." Ähnliche Worte für ihr eigenes Land finden derzeit viele Politiker in der Welt.

Noch nie ist eine Fußball-WM in so vielen Ländern zu einer Staatsaffäre geworden wie diesmal. Und nicht nur Regierungen von Dritte-Welt-Ländern wie Nigeria und Nordkorea ziehen ihre Kicker und Funktionäre zur Rechenschaft. Auch in Frankreich, Italien und England mischt sich die Politik massiv ein. Parlamentsausschüsse sollen dort die Pleiten der jeweiligen Nationalmannschaften analysieren. Die maßlose Überhöhung des Fußballs schreitet weiter voran.

"Nichts mehr übrig von der Schönheit des Fußballs, seitdem das Spielfeld zum Kriegsschausplatz geworden ist", kommentierte der Chefredakteur der "Cape Times", Tyrone August. Die WM sei heute "ein Schlüssel-Indikator für nationale Tapferkeit und nationales Selbstwertgefühl... eine neue Form der Kriegsführung".

Die WM 2010 war von Anfang an mit ungeheuren Erwartungen befrachtet. Südafrikas Präsident Jacob Zuma versprach sich einen "wichtigen Schritt bei der Nationenbildung und der Überwindung der Rassengegensätze". Von der WM sollte das Ansehen des ganzen Kontinents profitieren.

Ob Brasilien, Kamerun oder Deutschland: Vor ihrer Abreise ließen es sich die meisten Regierungschefs oder Präsidenten nicht nehmen, der Nationalmannschaft ihre Aufwartung zu machen. Ganze Länder hatten ohnehin Trauer getragen, nachdem sie bei der WM-Qualifikation gescheitert waren. Es war ein Wunder, dass es zwischen Frankreich und Irland nicht zu diplomatischen Verstimmungen kam, nachdem Henrys irreguläres Tor, per Hand erziehlt, den Franzosen die Tickets nach Südafrikas gesichert hatte.

Fußball-Weltmeisterschaften waren schon früher mehr als bloß eine großartige Sportveranstaltung. Für Deutschland beispielsweise war der WM-Sieg 1954 nach dem Schrecken der Nazi-Zeit ein wichtiger Schritt zur Wiedereingliederung in die Gemeinschaft der zivilisierten Staaten. Erste WM-Erfolge asiatischer und afrikanischer Staaten wurden in diesen Ländern auch als Beleg für ihre gewachsene Bedeutung gewertet. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte 2006 über die Fußball-WM als "den besten Integrationsgipfel" geschwärmt.

Die Bedeutung der Fußball-WM scheint weiter zugenommen zu haben. Das Turnier dient in der globalisierten Welt offenbar in wachsendem Maße zur Identitätsbildung und trägt erheblich zum nationalen Wohlgefühl bei. Millionen Fans in aller Welt verfolgen beim Public Viewing gemeinsam den Auftritt ihrer Mannschaft. Kein Wunder, dass es für Staatsoberhäupter und Regierungschefs zum Pflichtprogramm gehört, im Erfolgsfall zum "Kriegsschauplatz" einer WM zu eilen und die eigenen "Jungs" moralisch zu unterstützen.

Alle träumen von ihren "Sommermärchen" und "Wintermärchen". Die Sehnsucht nach den großen Gemeinschaftsgefühlen scheint kaum etwas besser erfüllen zu können als der Fußball. Umso dramatischer also, wenn die Mannschaften versagen und enttäuschen. Der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan löste aus lauter Zorn über das schlechte Abschneiden der "Super Eagles" den nationalen Fußballverband einfach auf und zog die Mannschaft für zwei Jahre von allen internationalen Wettbewerben zurück.

Der nordkoreanische Kommentator, der bei der ersten Live-Übertragung eins WM-Spiels angesichts der 0:7-Pleite gegen Portugal die Sprache verlor, hatte damit schon angedeutet, was den Spieler zu Hause drohen könnte. Das US-Magazin "Newsweek" schrieb, auf manche Delegierte und Kicker sowie deren Angehörige warteten Arbeitslager oder noch schlimmeres: spurloses Verschwinden.

In Europa wird das nicht passieren. Aber auch hier machen Politiker unmissverständlich klar, in welcher Verantwortung die oft blutjungen Fußballspieler stehen. "Hier geht es nicht um Fußball, hier geht es um Frankreich. Unsere Ehre steht auf dem Spiel", hatte der französische Abgeordnete Jaques Remiller laut der "Cape Times" formuliert. Der Pathos wird nicht jedem behagen. Aber zweifellos tragen Erfolge im Fußball erheblich zu Imagebildung bei, nicht nur für Vereine und Städte. Für Staaten geht es um internationales Ansehen und nationales Wohlgefühl: Kein Wunder, dass sich zum Ärger der FIFA, die Politik immer stärker einmischt.

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