Die Evangelische Schule in Kairo: Gott und Allah in einer Klasse

Nur über Gemeinsames reden, wäre langweilig. Junge Christen und Muslime sollen mit den Unterschieden leben lernen, lautet das Ziel beim "kooperativen Religionsunterricht".

Staatsbesuch an der Deutschen Evangelischen Schule in Kairo: Bundespräsident Johannes Rau spricht mit SchülerInnen. (Archivbild von 2003). Bild: dpa

KAIRO taz | Am Hals der Schülerin hängt ein Kreuz. Kein Kettchen von der unauffälligen Sorte. Nein, schon etwas größer, sodass es im Ausschnitt ihrer roten Bluse kaum zu übersehen ist. Sie macht sich Notizen. Eine andere Schülerin, hellblau sommerlich gekleidet, aber etwas mehr zugeknöpft. Unter ihrem weißen Kopftuch schauen zwei wache Augen. Dass beide in dieselbe Schule gehen, ist eigentlich nichts Besonderes. Doch ungewöhnlich ist, dass die beiden Abiturientinnen denselben Religionsunterricht besuchen und das in einer deutschen Schule mitten in der 18-Millionen-Stadt Kairo.

Die religiös gemischte Klasse unterrichten zwei Religionslehrern gleichzeitig: Der eine sehr deutsch aussehend, der für die christliche Unterweisung zuständig ist. Provenienz: Norddeutsche Tiefebene, evangelisch. Der andere orientalisch. Aus dem Nildelta? Jedenfalls kommt er locker daher, nicht wie man sich landläufig einen Koranlehrer vorstellt. Er spricht fließend Deutsch.

"Kooperativer Religionsunterricht" nennt sich die Mischung. Und so etwas gibt es an keiner anderen deutschsprachigen Schule weltweit ein zweites Mal. Nur hier, im zweiten Stock des Zweckbaus aus den siebziger Jahren, in jenem Teil der Deutschen Evangelischen Oberschule, der DEO, im Herzen Kairos. Das Hupen aus der benachbarten Hauptverkehrsstraße legt sich als Klangteppich über den Unterricht, genauso wie das Surren der Deckenventilatoren.

"Kooperative" Mischung

Gemeinsam werden hier die Klassen der Oberstufe unterrichtet. Jeder fünfte Schüler hat das Fach als mündliches Abiturfach gewählt, abgesegnet von der Kultusministerkonferenz in Deutschland. Die lässt hier ein Pilotprojekt zu, aus dem sich vielleicht auch Schlüsse für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland ziehen lassen.

An der Tafel widmet sich der Lehrer gleich einem der heikelsten Punkte zwischen Muslimen und Christen, der Frage, ob Jesus nun Gottes Sohn oder nur dessen Gesandter sei. Der evangelische Religionslehrer Roland Petereit geht es vorsichtig an. Die Schüler der 11. Klasse sollen zunächst einmal überlegen, was eine Vater-Sohn-Beziehung eigentlich ausmacht. Beiderseitige Liebe, der Vater als Vorbild, der gehorchende Sohn als Teil des Vaters - Petereit schreibt die Wortmeldungen an die Tafel, beobachtet von seinem Kollegen Salah Edris, der an der Fensterbank lehnt.

Der teilt anschließend einen Text aus, in der es um die vierte Sure des Korans geht: "Jesus, Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes", heißt es darin. Anschließend diskutieren die 14 Schüler, zehn Muslime und vier Christen die unterschiedlichen Konzepte. Sie werden sich auch bis zum Ende der Stunde nicht auf eines einigen.

"Wir Christen sehen Jesus als Sohn Gottes, sowohl göttlich als auch menschlich, und für die Muslime ist das ein absolutes Tabu. Der Anspruch des Unterrichts ist es, die Schüler zu sensibilisieren. Dass sie auch mit diesen Unterschieden leben können", erläutert Petereit, der von Hamburg nach Kairo gekommen ist, das Lernziel.

"Nur über Gemeinsamkeiten in den beiden Religionen zu diskutieren, wäre langweilig", sagt der katholische Theologe Frank van der Velden, der Religionsfachleiter an der Schule ist und damit verantwortlich für das Projekt. "Wir müssen an die Unterschiede ran, denn das macht den Unterricht spannend", sagt er.

Das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen sei sowohl in der ägyptischen Gesellschaft als auch in der deutschen auch deshalb oft so angespannt, weil man nicht wisse, wie man über die Unterschiede reden soll, glaubt er. Und genau das sollen die DEO-Schüler üben. Drei Viertel von ihnen Muslime, die anderen evangelische, katholische oder konfessionslose Schüler aus Europa oder christliche Kopten aus Ägypten.

Sie müssen sich in der 12. Klasse mit Klausurfragen wie dieser herumschlagen: Ein fiktives Gespräch in Berlin-Kreuzberg - ein deutscher Nichtmuslim fragt einen deutschen Muslim, türkischer Herkunft: "Ich weiß gar nicht, was ihr Muslime habt, ihr könnt hier Moscheen bauen, habt eure Friedhöfe und bekommt jetzt sogar euren eigenen Religionsunterricht. Deutschland ist das toleranteste Land gegenüber Muslimen, warum beschwert ihr euch eigentlich?"

Punkte gibt es, wenn die Schüler es schaffen, die Situation ruhig zu analysieren. Wovor hat der Nichtmuslim Angst? Was will er eigentlich sagen? Welche Form des Zusammenlebens bietet er an?

Viele Schüler haben geantwortet, dass der Muslim eigentlich nur die Idee der Duldung erfahre, gerade so viel, wie dem Nichtmuslim laut Grundgesetz abverlangt wird, doch keinerlei Wertschätzung. Genau das aber würden sie erwarten, schreiben viele der muslimischen Schüler.

Was Duldung statt Wertschätzung ebenfalls bedeutet, erfahren die Schüler dann, wenn in Ägypten Spannungen zwischen der muslimischen Mehrheit und der Minderheit der christlichen Kopten aufflackern, es Anschläge gegen Kopten gibt. Als es vor fünf Jahren tagelang zu Gewalttätigkeiten zwischen den beiden Religionsgruppen in der Hafenstadt Alexandria gekommen war, luden sie einen Kopten aus Alexandria einfach nach Kairo in den Unterricht ein und er erzählte, wie er sich nur als Bürger zweiter Klasse fühlt.

Dialog mit Reibungsfläche

Der Dialog zwischen Kulturen und Religionen wird an der DEO mit all seinen Reibungsflächen gelebt. "Man stelle sich vor, ein deutscher Junge hat in der neunten Klasse seine erste Freundin und die ist zufälligerweise ägyptische Muslimin", wirft Frank van der Velden ein. "Fragen der unterschiedlichen Kultur und Religion sind immer entscheidend und auf dem Tablett der Diskussion auch außerhalb des Unterrichts zwischen den Schülern", erklärt van der Velden, den die deutsche Bischofskonferenz 1997 nach Kairo entsandte.

Aber gerade diese besondere Situation macht es nicht einfach, dieses Kairoer Modell nach Deutschland zu übertragen. Die Schüler kennen sich teilweise schon vom Kindergarten an. "Es herrscht ein Grundvertrauen", sagt van der Velden.

Die Schüler selbst bewerten das Experiment positiv. Er sei vor fünf Jahren voller Vorurteile aus Deutschland gekommen", erzählt der Zwölftklässler Andreas Brenner. Früher habe er nur christlichen Religionsunterricht gehabt. Der kooperative Unterricht habe ihm beigebracht, gegenüber einer anderen Religion tolerant zu sein. "Man sollte alles, was mit Religion zu tun hat, von mehreren Seiten betrachten", lautet heute seine Devise, zumal er hier "nicht neben, sondern mit" seinen muslimischen Mitschülern lebe.

Auch für Amira Orabi, jene Schülerin mit dem weißen Kopftuch und den wachen Augen, ist der heutige Unterricht interessanter, als die Zeit, in der sie nur islamischen Unterricht hatte. Es sei spannender, verschiedene Meinungen zu hören und zu erfahren, was andere über die eigene Religion denken. "Dadurch habe ich meine eigene Religion eigentlich noch mehr kennen gelernt", lautet ihr Fazit.

Nicht immer lief der Unterricht so reibungslos ab wie heute, berichtet Aschraf Ahmad, islamischer Religionslehrer, der von Anfang an dabei ist. Im Jahr 2001 hat er als einzige muslimische Lehrkraft den gemeinsamen Lehrplan mit ausgearbeitet. Und er hat damit große Proteste vonseiten einiger Kollegen und vieler Eltern ausgelöst. "Eine Mutter hat mich anonym angerufen, mich beschimpft und gesagt, du machst bei einem ganz deutlichen Missionierungsprojekt mit", erinnert er sich. Das waren die Ängste der Eltern, als es losging.

Heute, erzählt er, heute bekomme er keine Beschwerden mehr. Immer wenn die Diskussion an Grenzen stößt, wenn einer sagt, ich verstehe nicht, dass du das so glauben kannst, dann ziehen die Lehrer die Notbremse. Der Vorwurf der Missionierung ist auch der Grund, warum stets zwei Religionslehrer im Klassenraum anwesend sind.

Maulen über die Stile

Hinter vorgehaltener Hand maulen manche Schüler über die unterschiedlichen Unterrichtsstile. Auch Fachleiter van der Velden gibt zu, dass das der eigentliche Reibungspunkt sei. Die Islamlehrer arbeiten wesentlich enger an den Texten und entwickeln weniger Szenarien aus dem Alltag der Schüler. Das habe auch mit der sehr unterschiedlichen Ausbildung zu tun.

Manchmal ist die Grenze aber auch schon bei einem kleinen Theaterstück erreicht. Als man letztes Jahr die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn hat aufführen lassen und den Schülern dabei die Aufgabe gab, ein anderes Ende zu entwerfen, kam eine Diskussion auf.

Muslimische Schüler fragten, ob es überhaupt legitim sei, einen "heiligen Text" zu verändern? Ob man das auch mit einem Text aus dem Koran im Unterricht hätte durchspielen können? "Schwierig", gibt Frank van der Velden zu. "Vielleicht mit einer Geschichte aus der Überlieferung vom Leben des Propheten."

Nur da stellt sich sofort die Frage, ob man den Propheten Muhammad überhaupt darstellen darf? Aber auch dafür hat der kooperativ religiös geprüfte van der Velden nach kurzem Nachdenken eine fantasievolle Lösung parat. Vielleicht ließe sich das mit einem leeren Stuhl machen? Mit dem könnten die Schüler dann ein Zwiegespräch halten, schlägt er vor. "So wie man das aus der Schauspielschule kennt."

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