Bologna bis zum Ural: "Wissen wird nur noch reproduziert"

Der Bologna-Prozess betrifft ganz Europa. Wie sehen die Reformen in Polen oder Bulgarien aus und welche Spuren hat hat der Kalte Krieg in der östlichen Bildungslandschaft hinterlassen?

Studentenproteste Ende letzten Jahres in Oldenburg. Bild: dpa

BERLIN taz | Der Bologna- Prozess ist in Deutschland heiß umstritten. Auch aus den Nachbarländern im Süden und Westen, von Wien bis nach Amsterdam dringen Berichte über die Bildungsreform in die Bundesrepublik. Was vielen nicht so klar ist: Zeitgleich werden auch in Osteuropa die Hochschulen umstrukturiert. Auf was für Vorraussetzungen dieser Reformwille bauen muss und wie die Umsetzung konkret aussieht war Thema bei der taz-lab Diskussion “Bologna bis zum Ural”.

“Das Ziel von Bologna ist in Polen nicht erreicht worden”, sagt die Professorin Bozena Choluj von der Europa- Universität Viadrina nüchtern. Sie ist aus Frankfurt (Oder) angereist, wo sie Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies unterrichtet. Heute teilt sie sich das Podium mit dem bulgarischen Sozialwissenschaftler Orlin Spassov und der Journalistin Olga Kapustina.

Die Zeit des Kalten Krieges habe in der östlichen Bildungslandschaft ihre Spuren hinterlassen, erklärt sie dem Publikum. Die anderen Referenten nicken zustimmend. Akademiker werden in Polen bis heute nur gering bezahlt, Dozenten und Professoren müssen sich mit mehreren Jobs über Wasser halten und kämpfen daher gegen eine Verschulung auch ihrer Lehrpläne. Der Staat auf der anderen Seite forciert eine Umsetzung der Bologna- Kriterien und vergibt sogar Gelder für Innovative Studiengänge.

Was dabei rauskommt ist ein Re- Branding, eine Umstellung der Studienordnung, die nur oberflächlich stattfindet. “Was früher Sprachübung oder praktisches Deutsch hieß, heißt jetzt interkulturelle Kommunikation oder translation studies. Ein fünfjähriges Germanistikstudium wird jetzt halt in drei Jahre Bachelor und zwei Jahre Master aufgeteilt.” erzählt Bozena Choluj. “Es hat sich viel im Konzept der Universität geändert. Nach Bologna wird Wissen nicht mehr produziert sondern reproduziert, es gibt keinen Freiraum mehr für freies Denken und Kreativität. Der Traum von Humboldtschen Ausbilden ist ein Traum geblieben.”

Orlin Spassov nickt immer lauter. Auf bulgarisch berichtet er von ganz ähnlichen Erfahrungen aus der Journalistik- Fakultät in Sofia. Das humbold’sche ideal sei damit verbunden, nach Wissen zu streben, beim Bolognaprozess werde der Akzent mehr auf die Praxis gelegt. Die Studenten fingen schon parallel zum Studium an, in der Privatwirtschaft zu arbeiten. “ Man kann nicht gleichzeitig in der Boulevardpresse arbeiten und Qualitätsjournalismus studieren. Unsere besten Absolventen finden keine Arbeitsstellen.”

Selbst in Russland wird umgestellt, Bologna gilt bis zum Ural. Die 25- jährige Russin Olga Kapustina hat zeitgleich mit der Einführung des Bachelor- Master Systems in St. Petersburg angefangen zu studieren. Und sieht trotz aller Nachteile auch die guten Seiten an Bologna. “ Ich bin glücklich, dass ich einen Masterstudiengang in Deutschland aufnehmen konnte. Das schien in meiner Elterngeneration unmöglich.” Vernetzung, Völkerverständnis, die Grundlagen der Reform sind europaweit gut. Aber in Osteuropa wie anderswo mangelt es an konkreten Umsetzungen, so die einheitliche Aussage der Referenten.

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