Merkel holt Stoibers besten Pressemann

Ausgerechnet ein Münchner: Mit der Berufung von Ulrich Wilhelm zu ihrem Regierungssprecher hat die künftige Kanzlerin viele überrascht. Der Journalist coachte fünf Jahre lang den bayerischen Ministerpräsidenten. Damals war Stoiber noch erfolgreich

AUS MÜNCHEN MICHAEL STILLER

Wer zwischen 1998 und 2003 den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in der Münchner Staatskanzlei interviewte, fand an seiner Seite meist einen jungen, gut aussehenden, fast schüchternen Beamten. Meist folgte er still dem Gespräch, aber wenn Stoiber zu schwadronieren begann, wurde der Mann energisch und fiel seinem Boss ins Wort. Ulrich Wilhelms Devise in der Zeit als Stoibers Regierungssprecher: „So unauffällig wie möglich, so deutlich wie nötig. Wenn er einen Fehler macht, muss ich es ihm sofort sagen. Dafür bin ich da.“

In Zukunft wird Wilhelm für Angela Merkel da sein. Er geht dorthin, wo Stoiber nicht hinwollte: nach Berlin. Merkel bot ihm an, erster Sprecher der neuen Bundesregierung zu werden – und der Bayer Wilhelm sagte zu.

Auf den 44-jährigen gelernten Journalisten, der die renommierte Münchener Journalistenschule absolvierte, später auch noch ein Jurastudium anhängte und dann eine steile Beamtenkarriere begann, hat sein früherer Chef Stoiber unbedingt gehört.

Wilhelm war Stoiber auf andere Weise nahe als sein derzeitiger, in der CSU höchst umstrittener Regierungssprecher Martin Neumeyer. Wilhelms Zeit bei Stoiber waren dessen erfolgreichste Jahre.

Wilhelm war ein Stoiber-Trainer und Vertreter des Teamworks, Neumeyer ist ein Stoiber-Flüsterer, der eifersüchtig seinen alleinigen Zugang zum Chef verteidigt. Wilhelm führte Brainstormings ein, in denen die Beamten Rollen von Gegnern übernehmen mussten, die Stoiber mit Fragen eindeckten. Zu Wilhelms Zeiten war Stoiber noch so offen, dass er Beamte, die ihm zu wenig widersprachen, für ungeeignet hielt. Heute ist es umgekehrt. Wilhelm schaffte es, in der Staatskanzlei effektiv nach innen zu wirken und trotzdem Regierungssprecher nach außen zu bleiben. Bei Wilhelm zu recherchieren dauerte oft nur Stunden, bei Neumeyer Wochen. Termine mit Regierungsmitgliedern – kein Problem bei Ulrich, eine Sache von vier Wochen bei Neumeyer. Er antwortet einfach nicht, er lässt die Arbeit mit den Journalisten brachliegen. Deshalb hat die Staatskanzlei seit 2003 rapide an Ansehen und Einfluss beim traditionell aufsässigen bayerischen Pressekorps verloren. Um ein Interview zu autorisieren, brauchte Wilhelm nicht lange; Neumeyer pflegt Gespräche umzuschreiben und sie mit Inhalten zu versehen, die gar nicht besprochen wurden. Das führt schon mal dazu, dass sich eine Redaktion weigert, solche Interviews zu drucken.

Angela Merkel hat mit Wilhelm einen guten Griff getan. Sie hat mit der Benennung des Münchners ihr unverkrampftes Verhältnis zur CSU dokumentieren können, weil ihr jemand gesteckt haben muss, dass Stoibers Exsprecher vor allem eines ist: absolut loyal, wo immer er als Beamter arbeitet. Wer meint, Wilhelm könnte ein Stoiber-U-Boot werden, wird sich getäuscht sehen. Der Vater von zwei Kindern ist in seinem Amtsverständnis geprägt von seinem Vater, dem liberalen CSU-Staatssekretär a. D. Paul Wilhelm, den Stoiber einst schnöde ausmusterte, und seinem langjährigen Mentor Friedrich Wilhelm Rothenpieler, einst ebenfalls Stoiber-Sprecher.

Als Verdächtiger für solche Aufklärung Merkels könnte Michael Glos, der künftigen Kanzlerin neuer Wirtschaftsminister, gelten. Merkel bekommt keinen CSU-Yuppie oder Stoiber-Fanatiker, sondern einen, der weiß, wie Stoiber tickt. Das kann gut sein, wenn es Konflikte gibt. Wilhelm behält seine glänzenden Kontakte nach München. Merkel hat einen der alten Beamtenschule anhängenden Sprecher ausgewählt, der weiß, dass politisierende Beamte scheitern und was Journalisten, zumal regierungskritische, brauchen. Ob sich der eher sanfte Mann im Berliner Haifisch-Becken wird behaupten können, was einem seiner Vorgänger, dem ebenso souveränen Peter Hausmann (CSU) bei Helmut Kohl nicht ermöglicht wurde, wird auch von Merkels Hilfe abhängen. Wilhelms bisherige Ämter waren eher überschaubar – zuletzt war er Amtschef des bayerischen Wissenschaftsministeriums. Er hat aber eine gute Grundausbildung: Wilhelm hat bei der Luftwaffe gedient. Und er hat ein wunderbares Rückzugsgebiet zum Auftanken: „Einmal Bayer, immer Bayer“, sagt Wilhelm lachend auf dem Weg nach Berlin, wo er schon am Mittwoch anfangen und dann Angela Merkel auf ihrer ersten Auslandsreise als Kanzlerin nach Paris begleiten wird.

Seine bisherige Stelle im Münchner Wissenschaftsministerium könnte nun ausgerechnet Neumeyer bekommen, dessen Zeit als bayerischer Regierungssprecher abläuft. Die Nachfolge in der Staatskanzlei scheint auch schon geregelt zu sein: Es soll sich um eine Frau handeln.