Jubiläum im Gängeviertel: Rauchzeichen über der Stadt

Sechs Monate nach der Übernahme des Hamburger Gängeviertels stecken die Künstler in Verhandlungen mit der Stadt über die Zukunft des Quartiers. Und nehmen in den eiskalten Ateliers erstmals Öfen in Betrieb.

Blick aus einem Gängeviertelhaus in den Innenhof. Bild: Hannes von der Fecht

Am Mittwochmorgen haben sie gesungen, als der Ofensetzer mit seinem Lieferwagen kam. Vor Freude. Der Ofensetzer hatte Öfen und Rohre dabei und war bereit, diese zu installieren, trotz der Schweinekälte, die in den Häusern noch größer ist als im Freien. Mit den Öfen kommt die Chance, in den Ateliers die Null-Grad-Grenze zu überschreiten. Mit den Öfen wird es zwar nicht so warm, dass man dort ohne Anorak arbeiten könnte. Aber das Wasser zum Anrühren der Farbe gefriert nicht mehr.

Ab heute dürfen die KünstlerInnen die Öfen benutzen. Das haben sie ausgehandelt mit der Stadt, die das Gängeviertel Mitte Dezember vom niederländischen Investor Hanzevast zurückgekauft hat. Die Öfen haben die Künstler selbst bezahlt, und auch winterfest gemacht haben sie die historischen Häuser selbst. Sie haben die Dächer abgeplant, die Dachrinnen gesäubert und in fast allen Häusern das Wasser abgedreht, damit die Rohre bei Minustemperaturen nicht platzen können. "Es handelt sich um eine Notfallversorgung für die Häuser", sagt Marion Walter. "Die Häuser sind unsere Patienten. Es geht darum, sie zu retten."

Nach wie vor ist das Ziel der Künstler, aus dem Gängeviertel ein selbst verwaltetes Quartier mit bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum und soziokulturellen Kulturangeboten zu machen. Sie haben einen Verein gegründet, den Gängeviertel e. V., und treffen sich im Wochenturnus mit den Vertretern der Stadt, um zu verhandeln. Bis Ende März soll eine Einigung erzielt werden. Der Sprecher der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Enno Isermann sagt, das Ziel sei, dass die Künstler im Gängeviertel bleiben dürfen, dass es auch "normalen" Wohnraum gibt und dass die historischen Häuser erhalten werden. Offizielles zum Stand der Verhandlungen gibt es nicht.

Das Hamburger Gängeviertel ist ein historisches, verwinkeltes Wohnquartier, dessen letzte Reste sich in der Nähe des Gänsemarktes befinden.

2002 verkaufte die Stadt Hamburg das Areal an einen privaten Investor.

Ende August 2009 übernahmen fast 200 KünstlerInnen das Gängeviertel, um zu verhindern, dass der Investor Hanzevast eine Sanierung vornimmt, an deren Ende Büros und hochpreisige Luxuswohnungen stehen sollten.

Der Protest der Künstler erfuhr breite Unterstützung. Auch anderswo wehrten sich Initiativen gegen Luxussanierungen und schlossen sich im Netzwerk "Recht auf Stadt" zusammen.

Im Dezember 2009 kaufte der Senat das Gängeviertel zurück und zahlte dafür 2,8 Millionen Euro plus eine geheime Summe, die Hanzevast der Stadt bereits als Kaufpreis überwiesen hatte.

Ob das Ziel erreicht wird, dürfte vor allem an der Finanzierungsfrage hängen. Die Künstler sind sich der Lage der Stadt bewusst, sie erwarten keine Rundum-Finanzierung. Gleichwohl sagt Gängeviertel-Sprecherin Christine Ebeling: "Es gibt vorhandene Fördermöglichkeiten, mit denen unser Konzept finanziell abbildbar ist." Wichtig für die Künstler ist vor allem der Aspekt der Selbstverwaltung. Und wichtig ist ihnen auch eine Lösung, die das Gängeviertel vor jenem Verwertungsdruck bewahrt, den ein gewinnorientierter Investor mit sich bringen würde.

Die Stadt hält sich bedeckt, was eine mögliche Finanzierung betrifft. Für sie könnte es vor dem Hintergrund leerer Kassen eine verlockende Lösung sein, einen neuen Investor zu suchen. Nahe liegender aber scheint, dass die Stadt das Gängeviertel behält - und die Finanzierung selbst organisiert. Schwer fallen würde ihr dann allerdings, der Forderung nach Selbstverwaltung nachzukommen. Die Stadt ist es nicht gewohnt, die Zügel aus der Hand zu geben.

Wie schwer der Stadt das Machenlassen fällt, merkten die KünstlerInnen schon bei der Frage, ob sie Öfen einbauen dürfen oder nicht. Die Öfen sind nur als Provisorium gedacht und dass es sie jetzt gibt, ist nicht nur bedeutsam für das Anrühren von Farbe. Dass es die Öfen gibt, hat auch Symbolcharakter.

Momentan seien rund 100 KünstlerInnen im Gängeviertel aktiv, sagt Ebeling. Am kommenden Montag läuft das Engagement der Künstler im Gängeviertel genau sechs Monate. Von "Besetzung" war ganz am Anfang die Rede, aber davon spricht heute niemand mehr. Dafür haben die KünstlerInnen kürzlich mal zusammengerechnet, wie hoch der Wert der bisher erbrachten Eigenleistung wäre, wenn man einen Stundenlohn von zehn Euro ansetzen würde. Das Ergebnis: eine Million Euro. Und das ist nur die reine Arbeitszeit, Sachleistungen sind nicht eingerechnet. Letztere finanzieren die KünstlerInnen durch Spenden und durch ihr privates Geld, das einigen langsam ausgeht.

Trotz der Kälte finden nach wie vor Ausstellungen, Konzerte und Filmabende statt. Zum Halbjährigen soll es am letzten Februar-Wochenende ein Extra-Programm geben. Vorher aber werden die KünstlerInnen intern feiern. "Wir sind schon sechs Monate alt und fangen langsam an zu krabbeln", sagt Walter. "Zum Feiern setzten wir uns gemeinsam um den Ofen. Und schicken Rauchzeichen in die Stadt."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.