Riskante Sprünge in der Half Pipe: Der Double McTwist 1260

Die Half Pipe wird mehr und mehr zur großen Attraktion von Olympia. Grund ist Shaun White, der die Konkurrenz mit spektakulären Sprüngen deklassiert. Aber die sind gefährlich.

Keiner fliegt so spektakulär: Shaun White über der Halfpipe. Bild: ap

VANCOUVER taz | Er hätte das nicht tun müssen. Shaun White lag ja vorn. Er hatte Gold sicher. Aber der US-Amerikaner mit den roten Haaren, die ihm den Beinamen "Fliegende Tomate" eingebracht haben, packte seine "Big Gun" aus, wie er später sagen sollte, seine größte Waffe.

Auch so waren sie alle schon erledigt. Der Zweiplatzierte Finne Peetu Piiroinen und der Dritte Scott Lago aus den USA hatten sich mit erhobenen Händen geschlagen gegeben. Aber der rothaarige Bursche ballerte im zweiten Finaldurchgang trotzdem noch ein bisschen herum. Er zeigte den "Double McTwist 1260", den letzten Schrei in der Snowboardszene. Alle hatten gespannt darauf gewartet. Wer den Trick mit den zwei Überschlägen und dreieinhalb Drehungen beherrscht, ist der Boss in der Halfpipe.

Nur Shaun White zeigte den derzeit anspruchsvollsten Sprung. Ganz am Ende seines Auftritts in Cypress Mountain setzte er zum ultimativen Hingucker an. Fünf Meter flog er über den Rand der Halfpipe, dann verkurbelte, verschraubte und verdrehte er sich, landete sicher und ließ 4400 Zuschauer ekstatisch jubeln. "Ich hatte meinen Trick in der Tasche", sagte der 23-Jährige, "und eigentlich wollte ich ihn gar nicht auspacken. Aber an diesen Sieg sollte man sich erinnern, also habe ich ihn gezeigt."

Warum auch nicht: Wenn ein Eiskunstläufer eine Sprungkombination aus vierfachem Axel und dreifachem Salcho beherrscht, dann sollte er das Publikum daran teilhaben lassen, zumal Snowboard-Ikone White im Training des öfteren den McTwist ausprobiert hatte, sogar auf einer "supersoften Halfpipe".

Whites Trainer hatte ihm nach dem guten ersten Ritt in der Röhre zu einem Nullachtfuffzehn-Lauf geraten, aber White entschied sich für die große Show. "Das war gerissen von mir", sagte er. Seinen Sprung nennt er übrigens seit einem Restaurantbesuch in Aspen nicht mehr "Double McTwist 1260", sondern der Einfachheit halber "Tomahawk".

Ein Steak in der Form einer Streitaxt brachte ihn auf die Idee. "Ich weiß schon, jetzt kommen die Typen von McDonald's und sagen, ich soll den lieber Big Mac taufen", sagte White nach seinem zweiten Olympiasieg. Der Tomahawk-Sprung ist die Krönung der sogenannten Double-Cork-Tricks.

"Bei diesen Double Corks ist das Verletzungsrisiko schon groß, aber man muss die lernen, um mitzuhalten", sagte der Finne Piiroinen. Im Wettstreit um den verwegensten Trick hat es Ende des vergangenen Jahres einen fürchterlichen Unfall gegeben. Der US-Amerikaner Kevin Pearce, der White auf den Pelz rücken wollte, kam so unglücklich mit dem Kopf auf, dass er seit Wochen im Krankenhaus in Behandlung ist.

Auch White stürzte unlängst bei den X-Games nach dem doppelten Überschlag. Er schlug mit der Wange an der Kante der Halfpipe auf, sein Helm flog im weiten Bogen davon, doch im Gegensatz zu Pearce, 22, rappelte sich der Olympiasieger von Turin wieder auf.

Mit einer bösen Schürfwunde im Gesicht machte er gleich wieder weiter, um, wie er sagte, ein "McTwist-Trauma" zu vermeiden. Ein anderer Konkurrent Whites fand sich auch im Krankenhaus wieder, doch Danny Davis, 21, zog sich seine Verletzungen am Rücken und Becken nach einem Motorradbuggy-Unfall zu.

Auch US-Boy Davis hätte den Herrscher der Halfpipes die Goldmedaille streitig machen können. "Dass ich von ihm beim zweiten Qualifikationswettkampf für Olympia geschlagen worden bin, hat mich herausgefordert", sagte White Mittwochnacht. "Ich bin am nächsten Tag sofort nach Park City gefahren und habe den Tomahawk probiert." Wohl um die Gegner mit seiner Streitaxt in Angst und Schrecken zu versetzen.

Christophe Schmidt hat keine Angst vor White. Der Deutsche legt es auch nicht auf ein Duell mit dem amerikanischen Wunderkind an. Schmidt ist schon froh, wenn er mit der erweiterten Weltelite mithalten kann. Das hätte diesmal auch fast geklappt, aber weil er in der stärkeren Qualifikationsgruppe starten musste, schied Schmidt vorzeitig aus. Den Hype um die superschweren Sprünge sieht er kritisch: "Bei diesem ganzen Gerede über die Tricks vergisst man, dass die gesamte Zusammensetzung des Laufs wichtig ist."

Er bestätigt, dass es in den vergangenen Wochen einen Quantensprung in der Snowboardszene in puncto Kunstfertigkeit und Risikobereitschaft gegeben habe. "Seit einem halben Jahr hängen sich die Fahrer wegen Olympia massivst rein. Deswegen haben sich auch mehr Leute verletzt."

Auch Schmidt ringt um den Anschluss an die Spitze, aber das ist in Deutschland schwer. 2004 wurde die letzte deutsche Halfpipe auf der Zugspitze gebaut, seitdem reist Schmidt herum, immer auf der Suche nach guten Trainingsbedingungen. Im Sommer war er in Neuseeland, vor Olympia in Laax und Davos. "Wir fahren dahin, wo wir gehört haben, dass es dort eine gute Pipe gibt, oft sehr kurzfristig", sagt Schmidt.

In Amerika habe jedes Skigebiet, das ein bisschen was auf sich halte, zwei Pipes, in Deutschland gebe es nur Widerstände. "Die Akzeptanz des Sports bei konservativen Liftbetreibern ist nicht sehr hoch", sagt Schmidt. Der Sportdirektor des Snowboardverbandes, Tim Stade, wird da noch deutlicher.

"Wenn es keine Schwimmbecken gibt, dann gibt es auch keine Weltrekordschwimmer", sagt er. "Die können ja mal eine von den vier Rodelbahnen in Deutschland schließen und uns ein bisschen Geld geben."

Doch das Geld sei unter Umständen vom Bund sogar zu bekommen, aber vor Ort werde der Bau einer Halfpipe mit zig Gutachten verhindert. "Wenn es allerdings um eine neue Abfahrt geht, dann wird abgeholzt auf Teufel komm raus", ärgert sich Stade.

"Krass" findet er den Auftritt von Shaun White. Der Groll über die Probleme in der Heimat verraucht. Die fliegende Tomate, sagt Tim Stade, habe den Sport auf ein neues Plateau gehoben. "In Turin 2006 hätte man niemals gedacht, dass es einmal da hinauf geht."

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