Das Urteil zur Sonntagsruhe: Karlsruhe stoppt "Ökonomisierung"

Das Bundesverfassungsgericht begründet den besonderen Schutz des Sonntags nicht nur religiös. Das Urteil wendet sich vor allem gegen dessen völlige Ökonomisierung.

Diesesmal darf noch zu Weihnachten geshoppt werden: Einkäufer in Berlin. Bild: ap

KARLSRUHE taz | Läden und Geschäfte müssen im Prinzip sonntags geschlossen bleiben. Dies entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht auf Klage der evangelischen und katholischen Kirche. Eine völlige "Ökonomisierung" des Sonntags sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, sagte Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, bei der Verkündung des Urteils.

Die Richter kippten dabei eine zu weitgehende Liberalisierung im Land Berlin. Wenn an allen vier Adventssonntagen eingekauft werden kann, verstoße dies gegen den "Mindestschutz" des Sonntags. Karlsruhe ging es dabei aber nicht um den Schutz der religiösen Adventszeit. Vielmehr monierte das Gericht, dass der Sonntagsschutz einen ganzen Monat lang en bloc entfalle.

Solange der Sonntagsschutz die Regel bleibe, könnten einzelne Sonntage in der Adventszeit trotzdem ausnahmsweise liberalisiert werden. Betroffen sind von dieser Entscheidung auch Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Auch dort sind alle vier Adventssonntage für den Verkauf freigegeben.

Es ist kein Zufall, dass gerade das Land Berlin verklagt wurde, denn dort wurde die Liberalisierung am weitesten getrieben. Ausgerechnet die rot-rote Koalition unter Klaus Wowereit (SPD) wollte aus der Touristenstadt Berlin eine europäische "Einkaufsstadt" machen.

Als die Länder nach der Föderalismusreform die Zuständigkeit für den Ladenschluss erhielten, erlaubte der Senat werktags "shopping 'round the clock" und gab zudem zehn Sonntage frei, inklusive der gesamten Adventszeit. FDP und CDU unterstützten das Projekt, nur den Grünen ging es zu weit. Die anderen Bundesländer haben überwiegend vier Sonntage freigegeben, Baden-Württemberg drei, Brandenburg sechs.

Die Kirchen argumentierten in ihrer Klage, dass der Sonntagsschutz der Förderung der Religion diene. Der Sonntag sei als Tag ungestörter Religiongsausübung gedacht. Schließlich müssten die Kirchen ihre Gläubigen auch erreichen können. Konkret heißt es im Grundgesetz: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt."

Der Erste Senat des Verfassungsgerichts gab nun zwar der Kirchenklage statt, begründete den Schutz des Sonntags aber viel breiter. Die Sonntagsruhe diene auch der körperlichen und geistigen Erholung und fördere das Familien- und Vereinsleben. Wichtig sei deshalb, dass der Sonntag als gemeinsamer Ruhetag erhalten bleibe.

Auch Parteien und Verbände seien darauf angewiesen, dass es für Versammlungen einen gemeinsamen freien Tag gibt. Die "synchrone Taktung des sozialen Lebens" diene letztlich also sogar der Demokratie, sagte Gerichtspräsident Papier.

Die Richter stellten folgende Regeln für einen Mindestschutz auf: Acht landesweit verkaufsoffene Sonntage pro Jahr seien gerade noch in Ordnung. Zusätzlich seien noch lokal begrenzte Sonntagsöffnungen wegen kleinerer Ereignisse wie Feuerwehrfesten möglich - Berlin erlaubt dies bisher zweimal pro Jahr. Auch bei einer zulässigen Sonntagsöffnung müsse, so die Richter, der Ausnahmecharakter deutlich werden, etwa indem die Läden erst nachmittags öffnen.

Vor allem aber braucht die Sonntagsöffnung jeweils einen "Grund von besonderem Gewicht". Für nicht ausreichend halten die Richter das "Umsatzinteresse" der Unternehmen oder das bloße "Shoppinginteresse" der Konsumenten. Wenn dagegen der Adventseinkauf als Förderung des Familienlebens etikettiert würde, könnte das genügen. Auch Veranstaltungen von überregionalem Interesse wie die Berliner Funkausstellung könnten ein Anlass für offene Geschäfte sein.

Regelung gilt ab 2010

Der strenge Sonntagsschutz gilt vor allem für den Einzelhandel, weil er das öffentliche Leben prägt. Nur wenn die Läden geschlossen sind, ruhe die "werktägliche Geschäftigkeit". Die Öffnung von Gastronomie und Unterhaltungsbetrieben sei dagegen weiterhin möglich, so die Richter. Auch die Sonntagsproduktion der Industrie sei zum Schutz der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zulässig, zumal sie hinter Fabrikmauern stattfinde.

Das Urteil hat noch keine Auswirkungen auf den laufenden Vorweihnachtsverkauf. Weil der Handel seine Dispositionen schon getroffen hat, muss Berlin erst im kommenden Jahr den Sonntagsschutz neu regeln.

Die Entscheidung erging im Wesentlichen einstimmig. Allerdings hielten drei der acht Richter die Klage der Kirche für unzulässig, weil der Sonntagsschutz eigentlich kein einklagbares Grundrecht ist.

Die Richtermehrheit ließ die Verfassungsbeschwerde jedoch zu - mit Blick auf die einklagbare Religionsfreiheit. Allerdings können künftig auch Gewerkschaften, Sportvereine und Familien ihr Recht auf Sonntag in Karlsruhe einklagen. Auch insofern gehört der Sonntag den Kirchen also nicht mehr exklusiv.

Az.: 1 BvR 2857/07 u. a.

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