Gewalt gegen Frauen: Lernen, auch mal nein zu sagen

Mehr als drei Viertel aller Gewalttaten gegen Frauen finden in Paarbeziehungen statt. Und: Die Opfer sind oft gut ausgebildete Mittelschichtsfrauen.

Bei Akademikerinnen ist die psychische Hürde besonders hoch, sich Hilfe in Beratungsstellen zu holen. Bild: dpa

BERLIN taz | Von ihrem Reflex war Petra selbst am meisten überrascht. Aus dem Dunkel tauchte der Typ auf, rempelte und pöbelte die Frauen an, die gemeinsam unterwegs waren. Die meisten, auch Petra, wichen zurück. Nur eine von ihnen wurde aggressiv, ging näher an den Mann heran. Der fasste sich in die Jacke. "Ich dachte, er holt jetzt seinen Geldbeutel heraus", sagt Petra und schüttelt den Kopf, "da zieht der ein Messer und sticht zu."

Damals besucht Petra, 45, schon einige Jahre Selbstverteidigungskurse für Frauen. "Es war ein Schock zu merken, wie wenig ich solche Situationen einschätzen kann", sagt sie heute. Seit dem Zwischenfall achtet sie darauf, die Wahrnehmung für solche Begegnungen zu schärfen.

Zwischen 20 und 50 Jahre alt sind die Frauen, mit denen sich Petra im Zentrum für Selbstverteidigung für Frauen e. V. in Berlin-Schöneberg wöchentlich trifft, um Griffe für den Ernstfall einzustudieren. Im obersten Stock trainieren sie unter Neonlicht vor einem Spiegel, der Boden ist mit Schaumstoffmatten ausgelegt. Zutritt haben nur Frauen. In den letzten Jahren hat sich die Motivation für den Besuch solcher Kurse geändert. Petra hat Ende der 80er mit dem Training begonnen, als viele Frauen in Berlin überfallen und vergewaltigt wurden. "Frauen, wehrt euch", war damals die Devise. Für die Jüngeren steht vor allem die Lust an der Bewegung im Vordergrund. "Der Spaßfaktor ist hier sehr hoch", sagt die 26-jährige Anne.

Gewalt gegen Frauen ist keineswegs verschwunden. Sie geschieht vor allem im Privaten: Zu 77 Prozent findet sie innerhalb der Partnerschaften statt, wie eine Studie des Bundesfamilienministeriums vom März 2009 zeigt. Demnach werden 37 Prozent der Frauen zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher Gewalt. Was erstaunen mag: Die meisten Übergriffe finden nicht am Rande der Gesellschaft, sondern bei Paaren mit mittlerem bis höherem Einkommen statt. Für Frauenberatungsstellen ist es schwierig, diese Frauen zu erreichen. "Die Schamgrenze, sich beraten zu lassen, ist höher", erklärt Katja Grieger vom Bundesverband für Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff, "diese Frauen haben mehr zu verlieren." Und: Besonders schwere Gewaltanwendung gibt es häufig, wenn die Frau dem Partner ökonomisch und sozial überlegen ist. Man habe als Opfer heimischer Gewalt immer das Bild einer Frau im Kopf, die nicht studiert hat, so Grieger: "Wir müssen dieses Bild loswerden. Es geht nicht um die armen anderen, es geht uns alle an."

In Sachen Beratungsstellen für Frauen sind in Deutschland nur wenige Regionen ausreichend versorgt: Neben einem großen Stadt-Land-Gefälle ist auch ein Unterschied zwischen Ost und West auszumachen. Der neue Koalitionsvertrag verspricht zwar eine bundesweite Beratungsnummer, um die schon seit Jahren gekämpft wird. Ob das auch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten, so Grieger, die härtere Sparmaßnahmen fürchtet: "Es ist frustrierend, dass man immer noch um Gelder kämpfen muss." Mit großem Bohei würden innovative Modellprojekte finanziert, die nach zwei bis drei Jahren auslaufen: "Die Maßnahmen müssen längerfristiger und nachhaltiger sein." Selbstverteidigungskurse sieht Grieger als ersten Schritt: Sie vermitteln die wertvolle Erfahrung, dass Gegenwehr möglich ist.

Die Kniffe und Tricks, die Trainerin Ines von MartaHara e. V. den Teilnehmerinnen im Selbstverteidigungszentrum für Frauen beibringt, helfen nicht nur für den Notfall. In Zweiergruppen stellen die Frauen mit Stöcken und zusammengerollten Zeitungen Situationen nach, die gefährlich werden könnten. Mit der Körperspannung verändere sich auch die Ausstrahlung, sagt Anne: "Man lernt mit dem Training, auch mal nein zu sagen."

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