Berliner Verkehrssenatorin für A 100: Junge-Reyer im Gegenverkehr

Die Verkehrssenatorin setzt weiterhin auf den Bau der umstrittenen Autobahn - und riskiert damit ihren Job. Denn die Fraktionen von SPD und Linken rücken von dem Projekt ab und emanzipieren sich damit vom Senat.

Ingeborg Junge-Reyer Bild: dpa

Ingeborg Junge-Reyer wirft ihr gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale und hält an einem Weiterbau der A 100 fest: "Das ist nicht nur ein Verkehrsprojekt, sondern eine grundsätzliche Frage der Stadtentwicklung und Wirtschaftspolitik", sagte die SPD-Verkehrssenatorin am Dienstag nach der wöchentlichen Senatssitzung. Zuvor hatte sich die rot-rote Koalition darauf verständigt, die Mittel für die Planung der 3,2 Kilometer langen Verlängerung von Neukölln nach Treptow vorerst zu sperren. Ob daraus ein endgültiger Baustopp wird, soll auch von einer neuen, für Anfang 2010 erwarteten Verkehrsstudie abhängen.

"Ich setze darauf, dass die Mittel im nächsten Jahr wieder entsperrt werden", sagte Junge-Reyer. Sie verlasse sich auf den Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2006. Zwar nehme sie die Entscheidung der Haushaltspolitiker von SPD und Linkspartei ernst, "aber ich nehme auch die Argumente ernst, die ich vorgetragen habe".

Hinsichtlich der erwarteten Verkehrsstudie geht Junge-Reyer davon aus, dass es keine völlig neuen Ergebnisse geben wird, sondern lediglich die bisherige Prognose detaillierter ausgearbeitet wird. Die Senatorin wich der Frage aus, ob sie zurücktrete, wenn die Koalitionsfraktionen sich endgültig gegen die A 100 wenden. "Ich bin so was von standfest - jetzt, in Zukunft und immer schon gewesen", sagt sie. Sie werde weiter dauerhaft versuchen, die Abgeordneten von der Autobahn zu überzeugen. Im Mai hatte bei einem Landesparteitag der SPD eine Mehrheit gegen einen Weiterbau votiert: 118 Delegierte waren gegen, 101 für eine Verlängerung.

Am Montag war der Entschluss bekannt geworden, die Gelder für Planung und bauvorbereitende Maßnahmen zur A 100 auf Eis zu legen. Darauf hatten sich die Haushaltspolitiker beider Koalitionsfraktionen bereits am Freitag geeinigt, weil in dieser Woche die Etatberatungen für 2010 und 2011 in die Schlussrunde gehen. Insgesamt soll der Bau rund 450 Millionen Euro kosten - das meiste davon soll der Bund zahlen. Doch dazu muss auch das Abgeordnetenhaus dem Bau zustimmen.

Der parlamentarische Geschäftsführer und verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christian Gaebler, bemühte sich, das Auf-Eis-Legen der Planungsgelder kleinzureden: "Wenn hier etwas gestrichen worden wäre, könnte ich die ganze Aufregung verstehen. Aber es gibt doch gar keine Vorfestlegung." Für Gaebler ist der Beschluss auch keine Klatsche für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) oder für Junge-Reyer. Wowereit habe nichts mit der A 100 zu tun. "Das ist ein seriöses Verfahren, hier wird niemand vorgeführt."

Dem schloss sich Linkspartei-Fraktionsvize Jutta Matuschek an, eine erklärte Gegnerin des Weiterbaus: "Wir stehen als Koalition. Niemand hat ein Interesse, den Senat zu düpieren."

Anders als Gaebler sah der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Stefan Zackenfels, durchaus eine gewisse Richtungsentscheidung: "Das war ein erster Schritt, um den Anhängern der A 100 Gelegenheit zu geben, neu nachzudenken." In der 54-köpfigen Fraktion soll es zwar noch kein formelles Votum gegeben haben, dem Vernehmen nach ist aber eine knappe Mehrheit gegen eine Verlängerung.

Zu dieser Gruppe gehört auch der Umweltpolitiker Daniel Buchholz, der stark auf die neue Verkehrsprognose setzt. Deren Zahlen werden nach seinen Erwartungen bisherige Baubefürworter zum Umdenken bringen. "Das ist dann der Zeitpunkt, sich endgültig von der A 100 zu verabschieden", sagte Buchholz.

Hörte man am Dienstag tiefer in die SPD-Fraktion hinein, ließ sich der Beschluss auch als weiterer Versuch der Emanzipation vom Senat verstehen. Die Fraktion sei selbstbewusster geworden und nicht mehr bereit, Senatspolitik einfach abzunicken, hieß es.

Schon beim Thema Kunsthalle hatten die SPD-Abgeordneten gezeigt, dass sie nicht nur deshalb einem 30-Millionen-Projekt zustimmt, weil es der Regierende Bürgermeister will: Der Bau ist erst mal verschoben. Schon vor Monaten hatte sich die Fraktion gegen den Bau gestellt, weil er angesichts der Finanzlage nicht zu vermitteln sei. Wowereit aber hielt an dem Projekt fest.

Bei der gescheiterten Wahl der Rechnungshofpräsidentin vor zwei Wochen hatten bei einer koalitionsinternen Probeabstimmung noch alle 76 Abgeordneten den Senat unterstützt. In geheimer Wahl im Plenum aber fehlten zwei Stimmen.

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